Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur schwarz-gelben Koalition
Archivmeldung vom 17.09.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAn dieser Stelle ist schon oft über den beklagenswerten Zustand der schwarz-gelben Bundesregierung sinniert worden. Im Grunde andauernd seit dem 25. Oktober 2009. Das war der Tag, an dem die Spitzen von CDU, CSU und FDP den Koalitionsvertrag präsentierten. Genau genommen markiert das pseudojoviale »Seit 2.15 Uhr sagen wir Horst und Guido zueinander«, mit dem der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle die Öffentlichkeit überraschte, jenen Moment, in dem das Unheil seinen Lauf nahm.
Was als Wunschbündnis deklariert war, entpuppte sich rasch als Missverständnis und droht in einem heillosen Chaos zu enden. Man fühlt sich stark an Rudi Völler und seine legendäre Wutrede »vom Tiefpunkt, noch einem Tiefpunkt und einem tieferen Tiefpunkt« erinnert. Doch sitzt einem diesmal leider nicht ein freundlich dreinschauender Waldemar Hartmann gegenüber. Nein, diesmal lautet die Frage, ob die Regierung noch dazu in der Lage ist, ihren Auftrag zu erfüllen. Es geht darum, ob Deutschland in der größten Krise Europas seit mehr als 20 Jahren berechenbar ist und handlungsfähig bleibt. Viel spricht nicht dafür. Nach einer Woche neuer, noch tieferer Tiefpunkte weiß man nicht mehr, was schlimmer ist: insolvente Griechen oder eine Regierung, die wegen des Bankrotts der FDP selbst vor der Pleite steht. Deutschland hat eine liberale Partei bitter nötig, nicht aber diese FDP. Das Problem dieser FDP sind nicht die Umfragewerte, sondern Personal und Programm - kurz: alles, was politisches Profil ausmacht. Das Ausmaß an Naivität, Populismus und Verantwortungslosigkeit ist schwer zu fassen und noch schwerer zu ertragen. Philipp Rösler hat es in nur vier Monaten geschafft, sein Ansehen als Wirtschaftsminister und Vizekanzler zu ruinieren. Die FDP wird bei der Berlin-Wahl am Sonntag den nächsten Niederschlag kassieren. Als Parteichef hat sich Rösler schon nach 17 Wochen verbraucht. Sein Vorgänger Guido Westerwelle, erst jüngst noch als Quell allen liberalen Übels ausgemacht, hatte dafür immerhin zehn Jahre gebraucht. Viel wird derzeit darüber spekuliert, ob Angela Merkels Kanzlerschaft endet, wenn ihr am 29. September bei der Abstimmung im Bundestag über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms die eigene Mehrheit fehlt. Dabei muss man sich fragen, was eigentlich passiert, wenn die Mehrheit zustande kommt. Eine FDP, die nicht regierungsfähig ist, und eine CSU, die nicht regierungswillig ist, würden selbst eine CDU in Bestform überfordern. In dieser Verfassung aber ist auch die Merkel-CDU bei weitem nicht. Für einen Neuanfang - den wievielten eigentlich? - spricht wenig. Die Koalitionäre kämpfen kaum noch miteinander, dafür aber um so heftiger gegeneinander. Es wirkt, als warte Schwarz-Gelb schon zur Halbzeit der Legislaturperiode sehnsüchtig auf den Abpfiff. Leider aber ist das Ganze nicht bloß ein Spiel.
Quelle: Westfalen-Blatt (ots)