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NRZ: Treten Sie zurück, Herr Sauerland!

Archivmeldung vom 26.07.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 26.07.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Auch zwei Tage danach sitzt der Schock über die Loveparade-Katastrophe tief. Grenzenlos ist die Trauer. Was in Duisburg geschehen ist, erschüttert ganz Deutschland. Wir werden dieses Ereignis wohl nie vergessen. Zu verstörend sind Ablauf und Ausmaß des Unglücks. Wie konnte sich eine schrille, aber fröhliche Party in ein Blutbad verwandeln?

Klar ist: Die Toten und Verletzten sind keinem tragischen Unglück zum Opfer gefallen. Nein, diese Tragödie war kein unabwendbarer Schicksalsschlag, sondern Menschenwerk. Resultat einer maßlosen Event-Gier, miserabler Planung, oberflächlichem Veranstaltungsmanagement, und deshalb überforderter Sicherheitskräfte. Unfassbar, aber wahr: Bürger und Polizei hatten weit vor dem Ereignis immer wieder gewarnt, die Duisburger Loveparade könnte in einem heillosen, unbeherrschbaren Chaos enden. Einige hatten vorausgesagt, es könne Tote geben. Doch darauf haben die Verantwortlichen nichts gegeben. Fahrlässig ist die Stadt Duisburg in die Katastrophe gesteuert. Nun muss rückhaltlos aufgeklärt werden. Ganz offensichtlich war das Veranstaltungsgelände zu klein, um über eine Million Menschen zu fassen. Das diese Massen nur durch einen Tunnel zur Party und wieder zurück gelangen konnten, hat eine willkürliche Todeszone geschaffen. Die Panik in dieser Angströhre war absehbar. Es gibt Schuldige - sie müssen benannt werden. Auch wenn die Staatsanwaltschaft noch ermittelt, ist das völlige Versagen der Duisburger Stadtverwaltung offensichtlich. Noch am Abend des Unglücks, während in den Krankenhäusern weitere Schwerverletzte starben, versuchten sich die Beamten feige herauszureden, verteidigten sogar das Sicherheitskonzept. Unerträglich war die zynische Reaktion des Oberbürgermeisters, der dem Verhalten der Opfer eine Mitschuld gab. Sein empörendes Gerede war nichts weniger als die Verhöhnung von Toten - von jungen Menschen, die von weit her in seine Stadt gekommen sind, um zu feiern und die seine überforderte Organisation in den Tod getrieben hat. Herr Sauerland, treten Sie vom Amt des Duisburger Oberbürgermeisters zurück! Herr Sauerland, Ihr Verhalten in der Stunde der Trauer und des Entsetzens war unwürdig für den ersten Bürger einer Stadt, die mit der schlimmsten Katastrophe der Nachkriegszeit ringt. Treten Sie zurück, so können Sie am Ende den Hinterbliebenen der Opfer und vielen Verletzten ein gewisses Maß an Respekt erweisen. Schuldig sind auch die Veranstalter. Ihre Loveparade ist ja kein großes Straßenfest, wie das fröhliche Still-Leben am Wochenende zuvor, sondern ein knallhartes kommerzielles Unternehmen. Nun wird diese größte Party der Welt nie wieder stattfinden. Gut so. Nur stellt sich erneut die Frage, ob sie überhaupt in Duisburg hätte stattfinden dürfen. Es hat an Mahnungen nicht gefehlt, dass Duisburg als Standort für ein solches Mega-Ereignis völlig ungeeignet ist. Doch die wurden ignoriert. Stattdessen setzte die Stadt alles daran, die Loveparade auf Teufel komm raus zu ergattern. Imagegewinn ging vor Sicherheit. Selbst die Macher der Kulturhauptstadt 2010 hatten sich mächtig für die fragwürdige Veranstaltung ins Zeug gelegt. Nun ist auch ein Schatten auf ihr Kulturhauptstadtjahr gefallen. Schock und Trauer wirken noch lange nach. Das Geschehen wirft auch grundsätzliche Fragen auf: Sind wir Opfer einer immer größeren Gier nach gigantische Events? Irritierend war auch, dass die Show auf dem Gelände und in den Kneipen und Clubs fröhlich weiterging, während die Opfer elend verreckten. Selbst der WDR lud noch zur nächtlichen Party. Von Betroffenheit und Würde keine Spur. Die Spaßgesellschaft fordert ihre Toten - aber der Tanz geht weiter. Widerlich.

Quelle: Rüdiger Oppers, NRZ-Chefredakteur

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