Noam Chomsky – ein großer Geist
Archivmeldung vom 22.04.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.04.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Michael DahlkeTaz blamiert sich mal wieder. Ein Bericht von rbi-aktuell Ein extrem aufschlußreiches Interview von Noam Chomsky in der Taz vom 11. April 2005.
Zum einen beweist der Interviewer der Taz, daß die
Journalisten sehr wohl in der Lage wäre Fragen zu stellen, die den
Interviewten in Bedrängnis bringen können, wenn sie nur wollten. Zum
anderen beweist Noam Chomsky einmal wieder, daß er einer der großen
Geister unserer Zeit ist und nimmt den Interviewer in die Einzelteile
auseinander.
Lesen Sie selbst nach:
http://www.taz.de/pt/2005/04/11/a0176.nf/text
Der interviewende Journalisy, ein gewisser Chauvistré, hat offenbar vor
dem Interview ein wenig von Chomsky gelesen und eine Strategie
entwickelt, wie er versucht, Chomsky in die Enge zu treiben und
eventuell in Widersprüche zu verwickeln. Er nimmt für die Taz die
Position der Verteidigung der Politik der US-Regierung ein. Jeder
ehrliche Mensch, der jetzt noch Taz liest, sollte sich das noch einmal
überlegen. Will er wirklich eine Zeitung halten, die vehement die
Politik Präsident Bushs verteidigt?
Gleich in der ersten Frage versucht die Taz, Chomsky einzuwickeln. Es
hätten doch Wahlen im Irak stattgefunden. Ginge damit nicht die
„Demokratisierung“ des Nahen Ostens voran?
Chomsky erinnert in der Antwort daran, daß der Überfall auf den Irak
nicht mit seiner Demokratisierung, sondern damit begründet worden war,
daß die Möglichkeit verhindert werden müsse, die im Irak vorhandenen
Massenvernichtungswaffen gegen die USA zu richten. Das Nachbeten der
Thesen Bushs hängt er dann gleich noch den „gut erzogenen westlichen
Intellektuellen“ an und zahlt damit die Aggressivität des
Interviewers zurück. 1:0 für Chomsky.
Aber so leicht gibt die Taz nicht auf, sie hakt nach (wenn sie das
einmal bei Interviews „angesehener Politiker“ tun würde!): Aber die
Wahlen hätten doch stattgefunden und die Invasion hätte dem Irak
Demokratie gebracht.
Chomsky: „Nein, hat sie nicht!“ Er erinnert daran, daß die USA
keinerlei Wahlen vorgesehen hatten. Erst als sie es mit einem
anhaltenden Widerstand zu tun bekamen, wurden die Wahlen „aus dem Ärmel
gezaubert“. Das sei ein immenser Erfolg für den gewaltfreien
Widerstand. 2:0 für Chomsky.
Was, gewaltfreier Widerstand? Er höre nur von Gewalt im Irak! Hat er ihn jetzt in der Falle?
Chomsky: Auf dem Gebiet der Gewalt haben die USA und Großbritannien
eine überwältigende Übermacht. Der gewaltfreie Widerstand der Iraker
besteht darin, den Befehlen der Besatzungstruppen nicht zu gehorchen.
Die Amerikaner haben aus Falludscha ein Grosny gemacht (er erledigt die
russische Unterdrückungspoltik im gleichen Atemzug). Doch die USA und
Großbritannien können darauf vertrauen, daß westliche Intellektuelle
dieser Gewalt keine Aufmerksamkeit schenken. Das traf die Taz! 3: 0.
Nun ist der Interviewer in der Defensive. Er versucht, Chomsky als
unglaubwürdig hinzustellen: Ohne das, was Sie als gewaltfreien
Widerstand bezeichnen, hätte es keine Wahlen gegeben, behaupten Sie?
Doch Chomsky bleibt souverän und gibt mit gleicher Münze zurück: „Wir
wissen das!“ Er legt dar, wie die Verwaltung der Besatzungstruppen
Pläne durchführte, um Wahlen zu verhindern, um den Irak völlig
ausländischer Ausbeutung zu öffnen – und wie der Widerstand diese Pläne
einen nach dem Anderen zunichte gemacht hat, so daß nun sogar die
ursprünglich vorgesehene Dauerpräsenz der Besatzungstruppen gefährdet
ist. 4:0. Chomsky ist einfach besser informiert als der Interviewer,
der zuviel CNN sieht und zuwenig Al-Jazeera liest.
Jetzt ist der Interviewer auf seine letzte Verteidigungsbastion
zurückgedrängt: Aber die Besatzer haben doch das Ergebnis der Wahlen
akzeptiert, kommt seine weinerliche Frage.
Doch Chomsky ist wieder besser informiert: Alle gewählten politischen
Parteien haben einen Abzugsplan der Truppen befürwortet. Es wurde der
Abzug der Besatzer gewählt! 5:0.
Aber die Wahlen hätten doch nicht stattgefunden, hätten die Besatzer
das Land nicht überfallen! Also zumindest das wird doch Chomsky nun
zugeben müssen!
Chomsky: "Das ist eine merkwürdige Art, die Lage darzustellen. Hätten
die USA und Großbritannien die Iraker nicht daran gehindert, ihre
eigene Regierung zu stürzen, wäre das Problem nie aufgetaucht.“ Nun hat
Chomsky den Interviewer da, wo der ihn hinbekommen wollte: Es scheint
auf, daß er ein Ideologe ist, der sich nicht viel um die Wirklichkeit
kümmert. 6:0
Verwirrt muß die Taz nun fragen: Sie meinen die Situation nach dem ersten Golfkrieg 1991?
Chomsky (hier muß man den ganzen Wortlaut zitieren, um so richtig genießen zu können, wie er die Taz auseinandernimmt):
"1991 steht dies außer Frage. Nach dem Golfkrieg gab es eine
schiitische Rebellion, die Saddam gestürzt hätte. Doch die USA
erlaubten es Saddam, die Rebellion niederzuwerfen. Es gab einen
Konsens, daß Saddam größere Stabilität in der Region schafft als die,
die ihn stürzen wollten. Dann kam das Sanktionsregime. Hunderttausende
wurden dadurch getötet, die Gesellschaft zerstört und der Tyrann
gestärkt, weil sich die Bevölkerung auf Saddam stützen mußte. Dies
hielt die Leute davon ab, Saddam Hussein das gleiche Schicksal zukommen
zu lassen wie all den anderen von den USA unterstützten Monstern.“
7:0
Jetzt ist der Interviewer schon fast sprachlos: Ohne die Sanktionen
wäre Saddam Hussein gestürzt worden? Er denkt, dies sei eine unhaltbare
These, weil er wieder nicht informiert ist.
Chomsky zeigt, daß selbst der von den US-Regierung hierfür eingesetze Vertreter dies gesagt hat. 8:0.
Nun bleibt dem Interviewer nichts anderes übrig, als wieder zu seinem
vorbereiteten Fragenkatalog zurückzukehren. Er will jetzt die
angebliche Demokratisierung im Nahen Osten dem US-Überfall auf den Irak
zuschreiben, Bush und Cheney hätten dies gesagt.
Chomsky: Das können sie sagen und westliche Intellektuelle (der
Seitenhieb auf die Taz) können dies nachbeten. Dann legt er die Fakten
dar:
Es gibt sehr wohl intensive Demokratisierungsbewegungen in den
arabischen Ländern, die als Sprecher vor allem den Fernsehsender mit
Internetportal Al-Jazeera haben. Die USA und Großbritannien haben aber
keinerlei Interesse an einer Demokratisierung. Sie versuchten den
Sender schließen zu lassen und bombardierten dessen Stationen in
Afghanistan und im Irak. Seine Reporter wurden aus dem Irak verwiesen.
9:0.
Jetzt wird es schon wieder weinerlich: Aber im Libanon wird doch die Demokratie verbreitet.
Chomsky: Damit sich die USA DAS an ihre Fahnen heften können, müßten
sie zugeben, daß der CIA das Attentat gegen den libanesichen Ex-Premier
durchgeführt hätte.
Dies ist eine Dreifach-Kombination, und nicht einmal eingesprungen.
Zunächst macht er klar, daß der Überfall auf den Irak in nichts mit den
aktuellen Entwicklungen im Libanon zu tun hat, dann legt er nahe, der
CIA habe das Attentat begangen, ohne dies zu behaupten, denn nur damit
könnten die USA irgendwie als Verursacher auftauchen und schließlich
macht er deutlich, daß die jetzige Situation im Libanon im wesentlichen
auf das Attentat zurückzuführen ist. Das waren eigentlich drei Tore,
aber sind wir gnädig, zählen wir nur eins: 10:0.
Jetzt, in fast aussichtsloser Position, versucht der Interviewer einen
Trick, damit nicht so deutlich wird, was er vertritt: Er sagt : „Bush
würde sagen...“ und versucht erneut den Zusammenhang vom Irak mit dem
Libanon zu suggerieren.
Doch Chomsky ist auch auf solche Machenschaften eingerichtet: Er stellt
die Gegenfrage, ob die Bombe auf dem Vorbild Irak beruhte. 11:0.
Nun muß der Interviewer wieder auf seinen Fragenkatalog zurückkommen.
Wenn er Chomsky nicht mit dem nahen Osten „drankriegen“ kann, dann
versucht er es eben mit dessen eigenem Land, den USA. Ist Chomsky dort
nicht rettungslos isoliert? Also: Bush ist doch jetzt mit der Mehrheit
der Stimmen gewählt, oder?
Die Antwort Chomskys ist so frappierend für die Taz, daß sie sie als
Überschrift des Interviews verwendet hat: „Bush wurde nicht gewählt....“
Nun haben wir ihn aber dran gekriegt! Wie kann er so etwas absurdes sagen?
Doch Chomsky ist weiterhin souverän: „...Weil es keine Wahlen gab. Eine
Wahl erfordert die Teilnahme einer informierten Öffentlichkeit in einem
politischen Prozess...“
Das Interview geht noch weiter. Aber wir können uns hier beim Stand von 12:0 ausblenden.
Damit die Taz einem großen Geist wie Chomsky an den Karren fahren
könnte, dazu müßte es ja zuerst einmal halbwegs mittelmäßige Geister in
der Taz geben. Dazu muß man auch noch sehen, daß solche
veröffentlichten Interviews redigiert sind. Die schlimmsten Schlappen
hat man wohl schon herausgenommen. Auch die Übersetzung ist natürlich
einseitig. Z.B. hat Chomsky mit Sicherheit an der Stelle, als er sagt,
die „westlichen Intellektuellen“ würden wiederholen, was Bush und
Cheney sagen, ein Wort mit der Bedeutung „nachplappern“ oder
„nachbeten“ gebraucht. In der Übersetzung heißt es „nachsagen“, um der
Aussage an Schärfe zu nehmen, obwohl dieses Wort eine andere Bedeutung
hat.
Man muß nicht unbedingt mit jeder Aussage Chomskys übereinstimmen, um
seine Größe anzuerkennen. Seine These z.B., daß der „Kalte Krieg“ und
der Vietnamkrieg nicht gegen den Kommunismus geführt wurden, sondern um
andere Mächte in der Entwicklung zu behindern, dürfte nicht überall auf
Zustimmung stoßen. Hier tritt Chomskys eigene Meinung in den
Vordergrund, denn er bezeichnet sich als Anarchist und meint, daß der
Kommunismus viel zu wenig radikal ist.
Schließendlich ist Chomsky eigentlich keineswegs Politologe, sondern
Linguist. Da Rbi-aktuell gehört hatte, daß er auf diesem Gebiet auch
Bedeutendes geleistet hat, befragten wir einen Sprachen-Studenten. Hier
seine Aussage: „Die Linguistik ist die Lehre der Sprachen, was sie
sind, woher sie kommen, wie sie zusammenhängen und sich verändern, wie
sie gebraucht und mißbraucht werden. Was Einstein wohl für die Physik
war, ist Chomsky für die Linguistik. Die gesamte moderne Linguistik
beruht auf seinen Werken.“
Welch großer Mann, welch scharfer Geist! Sie finden eine Anzahl von
Büchern und von Reden und Interviews von ihm bei ‚amazon.de’ (Wenn Sie
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. Shame on you, Taz!
Elmar Getto
Quelle: http://www.rbi-aktuell.de