Die Leipziger Volkszeitung zur anhaltenden Hitze
Archivmeldung vom 21.07.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.07.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie einen sagen es so, die andern so: Wahnsinns-Wetter, stöhnen jene, die nach einer auf schweißnassem Kissen durchlittenen Nacht in stickiger Luft oder gar unter freiem Himmel malochen müssen.
Wahnsinns-Wetter, frohlocken dagegen die sonnigen Gemüter, die voller
Wonne an Stränden herumliegen, die Glut als cool empfinden und den
Solarium-Besuch nur ausnahmsweise streichen.
Ob der Mensch die Hitze liebt oder hasst, hängt von Veranlagung,
Gesundheitszustand und Alter ab. Allerdings schmilzt im Laufe der
seit Wochen anhaltenden Wärmewelle die Zahl der abgekochten
Hochtemperatur-Fanatiker dahin wie eine Portion Stracciatella im
Sonnenschein.
Mutter Natur hat den Körper des Homo sapiens, so nützlich dies
momentan auch wäre, weder mit Hitzeschilden noch Kühlakkus
ausgestattet. Also mahnen die Mediziner zur Flucht in den Schatten
und zum beständigen Einfüllen erfrischender Flüssigkeiten. Die Seele
wird derweil hin- und hergerissen. Zwar aktivieren Sonnenstrahlen die
Produktion von Glückshormonen, aber die Wasserstrahlen einer Dusche
sind derzeit weit willkommener. Und während im vergangenen Sommer
Regen und Wind für Trübsinn sorgten, trübt nun - mal wieder - die
Furcht vor einer globalen Erwärmung die Stimmung vieler Zeitgenossen.
Der Wirtschaft bescheren die Dauer-Hochs Freude und Frust. Während
Getränke- und Eishersteller zufriedene Gesichter ziehen, klagen
Bauern über vertrocknende Felder, Förster vermelden eine bedrohlich
wachsende Waldbrandgefahr, und in einigen Kraftwerken muss die
Stromerzeugung gedrosselt werden.
Derlei Schwierigkeiten liegen freilich weit entfernt vom einstigen,
ebenso verbissenen wie aussichtslosen Kampf des Sozialismus gegen
seine Hauptfeinde Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Da blies die
Propaganda fast alljährlich im Juli und August zur Hitzeschlacht, da
rückten Militärtrupps als Erntehelfer an, und der
Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei hielt abends die Augen
offen, ob da etwa einKleinbürger im Dämmerlicht trotz Wasserknappheit
den Gartenrasen sprengte.
Während an der Ostsee die Schlangen vor den Eiskiosken von
Kühlungsborn bis Zinnowitz reichten, wurden im binnenländischen
Getränkestützpunkt Karena-Limo und Cola-Sirup knapp. Bier-Käufer -
aus Erfahrung klug - hielten dort die Flaschen mit nach oben
gedrehtem Boden ins Licht, um verdächtige Trübungen zu entdecken.
Sich daran zu erinnern, hilft heute vielleicht ein bisschen, die
Schwüle zu ertragen. Oder man denkt nur ein paar Monate zurück - an
das umständliche Umwickeln des Leibes vor dem Weg durch die Kälte, an
das Scheibenkratzen und die - keineswegs durch Sonnenbrand - rote
Nase. Mal ehrlich: Wer hat sich damals nicht gesehnt nach solch einem
Sommer?
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung