WAZ: Kommentar von Stefan Schulte: Die Logik der Geheimdienste
Archivmeldung vom 17.12.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie zivilisierte Welt ist stolz auf ihre Werte. Auf ihre Demokratie, die Menschenrechte und ein Rechtssytem, in dem die Schuld und nicht die Unschuld bewiesen werden muss. Doch nicht erst seit dem 11. September 2001 fühlen sich die Sicherheitskräfte durch diese Werte eingeengt.
Schon im 18. Jahrhundert befreiten sich die
Kolonialmächte von den Fesseln der Freiheit, indem sie Gefangene auf
Strafinseln verbrachten. Dabei folgten sie einer primitiven Logik:
Fern der Zivilisation konnten sie foltern, ohne heimisches Recht zu
brechen.
Diesen so offensichtlichen Selbstbetrug begehen die Amerikaner nun
erneut. Indem sie Menschen in Folterstaaten fliegen. Und indem sie
auf Kuba ein außerstaatliches Straflager in einem rechtsfreien Raum
geschaffen haben. Die Frage lautet nun: Was wiegt schwerer? Die
Verhinderung neuer Angriffe durch unzivilisierte Methoden oder der
Glaubwürdigkeitsverlust bei jenen, die ein Wertemodell importieren
sollen, das nur bei Schönwetter gilt?
Bisher hat noch kein deutscher Politiker das Lager auf Kuba
gutgeheißen. Auch nicht Wolfgang Schäuble. Umso erstaunlicher ist es,
wenn er nun zu verstehen gibt, dass auch unter Folter erzwungene
Aussagen verwendet werden dürften. Damit beschränkt er sich auf die
Logik der Geheimdienstler, es sei nun mal ihr Job, Informationen zu
sammeln. Selbst dürften sie natürlich nicht foltern. Doch wenn wir
uns darüber freuen sollen, ist es weit gekommen. Ziel der Folter ist
es, durch Zufügung von körperlichen oder seelischen Schmerzen an
Informationen zu gelangen. Um die Informationen geht es. Wer ihnen
nachjagt, ist moralisch keinen Deut besser als die Folterer selbst.
Es gibt kein Dazwischen: Entweder glaubt man, Folter sei zur
Verhinderung größeren Übels erlaubt. Oder nicht.
Die Verhöre der deutschen Geheimdienstler in Syrien und Guantanamo
sind nicht damit abzutun, alles sei korrekt verlaufen. Außenminister
Steinmeier hob nicht zufällig den Fall des Deutsch-Syrers Zammar
hervor. Robuste Verhöre lassen sich besser rechtfertigen bei einem
Mann, der zum Zirkel der Terroristen vom 11. September zählt. Doch
der Fall des in Deutschland geborenen Türken Murat Kurnaz zeigt, wie
fließend der Übergang zur Willkür ist. Kurnaz sitzt seit vier Jahren
in Guantanamo, ohne zu wissen, was ihm vorgeworfen wird.
Kurnaz gilt schlicht als „feindlicher Kämpfer”. Mehrere
US-Gerichte haben entschieden, dies rechtfertige keine Inhaftierung.
Doch US- Recht gilt nicht für Kurnaz. Er sitzt ja in Kuba. Die
Bush-Regierung wehrt sich mit allen Mitteln dagegen, dass
Guantanamo-Häftlinge vor Zivilgerichte ziehen können. Sie wird
wissen, warum. Schäuble wird dies auch wissen, ebenso wie die
deutschen Geheimdienstler, die Kurnaz verhört haben. Deshalb ist es
verlogen zu behaupten, sie hätten von den dortigen Methoden nichts
gewusst. Dann hätten sie allemal einen schlechten Job gemacht.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung