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Berliner Morgenpost: Wer Demokratie will, darf nicht tricksen

Archivmeldung vom 24.01.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.01.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Das sind schöne Demokraten, Berlins Sozialdemokraten! Erst versprechen sie vollmundig mehr Bürgerbeteiligung. Wenn die Bürger dieses Angebot annehmen, das Ergebnis eines Volksbegehrens oder in der Endstufe eines Volksentscheids den Damen und Herren in den Führungsgremien der Partei aber nicht passt, dann wird ignoriert, verzögert oder übel getrickst, um Volkes Stimme schnell wieder zum Schweigen zu bringen.

So wurde der Flughafen Tempelhof abgewickelt, so folgenlos bleibt bislang die Versenkung von Mediaspree. Nun soll auch noch in Sachen Pro Reli manipuliert und obendrein eine Menge Geld zum Fenster hinaus geworfen werden. Der Regierende Bürgermeister zeigt ein höchst bedenkliches Verständnis auch von innerparteilicher Demokratie, wenn er, wie an diesem Wochenende während der SPD Klausurtagung im mecklenburgischen Fleesensee, selbst in Fragen von Religion und Ethik blinde Gefolgschaft zumindest aller sozialdemokratischer Mandatsträger verlangt. Bleibt der Regierende einmal mehr stur und boykottiert die ebenso logische wie finanziell und organisatorisch einzig vernünftige Zusammenlegung von Volksentscheid über Pro Reli und Europawahl am 7. Juni, handelt er zwar legal, beweist aber erneut eine aus Trotz gespeiste Arroganz der Macht, die zunehmend schwer erträglich ist. Dass Pro Reli das erfolgreichste Volksbegehren Berlins ist, muss Klaus Wowereit ähnlich überrascht und politisch verärgert haben wie im April der knapp gescheiterte Entscheid über die Zukunft Tempelhofs. Wer aber wie er und seine rot-rote Koalition (gegen Bedenken der CDU) vor vier Jahren ganz bewusst die Basisdemokratie stärken wollte, der muss sich dem fairen politischen Streit stellen. Wowereit scheut diesen, weil er ihn offensichtlich fürchtet. Anders als im Fall Tempelhof ist die Pro-Reli-Abstimmung keine im Kern auf das alte West-Berlin beschränkte Initiative, sondern eine ganz Berlin bewegende Frage. Zudem ist Pro Reli wesentlich breiter aufgestellt: Christen, Juden und Muslime engagieren sich ebenso wie Neu-Berliner, SPD-Linke wie die Stellvertretende Bundesvorsitzende Andrea Nahles oder Kanzlerkandidat Frank- Walter Steinmeier bekennen sich zu Pro Reli ebenso wie ein Bürgertum, das nach langer Zeit wieder selbstbewusst seine Stimme erhebt. Soll eine faire und dauerhaft akzeptierte Entscheidung gefällt werden, dann müssen so viele Berliner wie irgend möglich zur Wahlurne gelockt werden. Das garantiert allein die Verbindung des Volksentscheids mit der Europawahl. Wer wie Wowereit bockig darauf beharrt, den Entscheid ein paar Wochen vorzuziehen, hat dafür keine einleuchtenden Gründe. Der trickst, manipuliert und verschwendet viel Geld in einer armen Stadt. Und wer sagt eigentlich, dass, je mehr Berliner am 7. Juni zur Wahlurne schreiten, die Chancen allein für Pro Reli steigen? Selten war das Vertrauen Klaus Wowereits in seine vermeintliche Klientel so gering wie in diesen Tagen. Und bereuen könnte er seine Anti-Reli-Trickserei auch noch: 2013, wenn er als Kanzlerkandidat in weniger gottlosen Regionen Deutschlands auf Stimmenfang gehen will.

Quelle: Berliner Morgenpost

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