Rheinische Post: Alle Parteien wollen den Lagerwahlkampf
Archivmeldung vom 24.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAusgerechnet Bundespräsident Horst Köhler hat mit seiner Ankündigung, eine zweite Amtszeit anzustreben, den Startschuss für einen Dauerwahlkampf gegeben, wie ihn die Bundesrepublik noch nicht erlebt hat. Mit Köhler stellt sich erstmals ein Staatsoberhaupt ohne klare Mehrheit in der Bundesversammlung zur Wiederwahl.
Die SPD wird seine ihm 2004 unterlegene Gegenkandidatin Gesine Schwan erneut ins Rennen schicken, die sich dem Vernehmen nach ihrer Parteiführung auch durch Indiskretionen gegenüber der Presse förmlich aufgedrängt hat. Am Ende könnte der Umstand stehen, dass erstmals ein Bundespräsident abgewählt wird. Gleichzeitig entsteht aus der Personalie Köhler eine Fülle neuer Herausforderungen für die Parteien. Die Bundespräsidentenwahl ist traditionell von parteitaktischen Überlegungen geprägt. Das war bei Köhlers Nominierung 2004 so, die nach dem Willen von Union und FDP den Boden für eine schwarz-gelbe Bundesregierung bereiten sollte; das war 1969 so, als die Wahl des Sozialdemokraten Gustav Heinemann die sozial-liberale Koalition vorwegnahm. Diese historischen Begleitumstände hat Horst Köhler bei seinem mutigen Schritt im Blick, sie sind für ihn aber nicht ausschlaggebend. Nicht zufällig klang seine Ankündigung denn auch wie die eines Wahlkämpfers - in eigener Sache. Demonstrativ berief sich der in Berlin bis ins eigene Lager hinein wegen seiner pauschalen Kritik an "der Politik" ungeliebte Präsident auf die Zustimmung in der Bevölkerung. Die Bürger schätzen Köhler über alle Maßen - gerade auch, weil sie ihm seine Ferne zum Parteienhickhack als Qualität anrechnen. Nicht umsonst brachte der mitunter öffentlich ungelenk auftretende Präsident einst in einer Talkshow die Idee auf, das Staatsoberhaupt künftig direkt wählen zu lassen. Nichtsdestotrotz werden wir erleben, wie sich das bürgerliche Lager zähneknirschend hinter seinem Kandidaten versammelt; das linke wiederum hinter seiner Kandidatin. Denn auf beiden Seiten der Barrikade ist ein beinahe wollüstiges Seufzen über die heraufziehende Konfrontation hörbar. Endlich geht es nicht mehr um die letztlich diffus gebliebene Mitte, sondern um die Rückkehr zum lang vermissten Lagerwahlkampf. Schließlich leiden alle Berliner Parteien an der großen Koalition - Union und SPD etwa in unterschiedlichem Maße an Auszehrung: die Union programmatisch, weil ein Teil ihrer Funktionärselite und Mitgliederschaft mit dem Kurs der liberalen Merkel-CDU fremdelt; die SPD in der Wählergunst, weil sich die Katastrophenstimmung der Partei unter ihrem Vorsitzenden Beck permanent verstärkt. Die Oppositionsparteien FDP und Grüne leiden unter ihrer Machtlosigkeit und der Angst, dass 2009 wieder nur eine große Koalition möglich werden könnte. Im beginnenden Präsidentenpoker können sie sich dagegen teuer an den Wunschpartner für die Zeit nach der Bundestagswahl verkaufen. Der Preis der Grünen, mit der rot-grünen wie der schwarz-grünen Option wendiger unterwegs als die Liberalen, dürfte dabei höher sein. Die Linkspartei wiederum leidet, weil sie der Konkurrenz zwar thematisch eine "Diktatur des Oskariats" ("Stern") aufgezwungen hat, aber das Schmuddelkind im Berliner Sandkasten geblieben ist. Ein vorzeitiger Bruch der Koalition ist nicht zu erwarten. Die SPD und ihr Chef Beck werden erst einige Momente auf das Echo lauschen, das ihr riskantes Präsidentenmanöver erzeugt. Freunden sich die Bürger mit Gesine Schwan an, sinken Köhlers Umfragewerte, wird Beck das als Erfolg verbuchen. Es könnte ihm die Möglichkeit eröffnen, doch als Kanzlerkandidat anzutreten. Verläuft die Entwicklung andersherum, ist Beck als SPD-Chef nicht zu halten und die Partei steht im Wahljahr 2009 vor einem Trümmerhaufen. Dann schlägt die Stunde der Krisengewinnler: Die SPD-Linke Andrea Nahles oder der SPD-Rechte Sigmar Gabriel werden sich als Retter in der Not präsentieren. Und die Präsidentschaftskandidaten? Sie wollten Herren des Verfahrens bleiben, sich an die Spitze der Debatte ums Staatsoberhaupt setzen. Erreicht haben Köhler und Schwan das Gegenteil. Der Wahlkampf macht sie zu Objekten der Parteipolitik. Darüber könnte das Amt des Bundespräsidenten dauerhaft Schaden nehmen.
Quelle: Rheinische Post (von Sven Gösmann)