Allg. Zeitung Mainz: Tief verunsichert (Kommentar zu SPD)
Archivmeldung vom 25.03.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUmfragen sind grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. Und dennoch: Wenn sich laut "Emnid" 91 Prozent der SPD-Wähler für eine Mitgliederbefragung aussprechen, um den nächsten sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten zu küren, dann zeigt dies vor allem eines: tiefe Verunsicherung in den Reihen derer, die der SPD normalerweise gewogen sind. Und es ist auch ein nachhaltiges Signal Richtung Kurt Beck.
Sein Alleinvertretungsanspruch wird massiv in Frage gestellt - dies ist vermutlich eine Quittung für das Chaos nach der Hessen-Wahl. Und nun? Mitgliederbefragungen haben Vor- und Nachteile. Ein Kandidat, der siegt, besitzt ein hohes Maß an Legitimation. Andererseits hat gerade die SPD erfahren, dass Unwägbarkeiten das Ergebnis beeinflussen, möglicherweise sogar verfälschen können. 1993 kandidierten nach Björn Engholms Rückzug Rudolf Scharping, Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul für das Parteivorsitzenden-Amt. Die meisten Stimmen bekam Scharping - unterlag allerdings bei der Bundestagswahl 1994 knapp gegen Kohl. Insider haben stets behauptet, Wieczorek-Zeul, die chancenlos Dritte wurde, habe Schröder die zu einem Sieg notwendigen Stimmen gekostet, und Schröder hätte gegen Kohl womöglich obsiegt. Viel Spekulation, aber ein Hinweis, dass eine Befragung nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein braucht. Ob Kurt Beck bereit ist, wegen einer Umfrage seine Pläne über den Haufen zu werfen, ist mehr als unwahrscheinlich. (Wobei man nach den Hessen-Turbulenzen allerdings hinzufügen muss: auszuschließen ist fast nichts mehr). Ihm kommt es vor allem darauf an, zu stehen wie ein Fels. Noch vor wenigen Wochen sprach alles dafür, dass dies seine eigene Kandidatur einschließen würde. Die Tonlage, in der er jetzt formuliert, legt eher eine andere Variante nahe: Er schlägt Steinmeier als Kanzlerkandidaten vor und richtet sich ein in der Rolle der grauen Eminenz, die gestalten, aber, wenn ihr danach ist, auch massiv kritisieren kann - wen auch immer.
Quelle: Allgemeine Zeitung Mainz