Tapering à la Lagarde
Archivmeldung vom 11.09.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.09.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićTapert sie nun, oder tapert sie nicht? Das ist hier die große Frage. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf ihrer Sitzung in der gerade abgelaufenen Woche beschlossen, dass das Pandemie-Notfallkaufprogramm PEPP zurückgeführt wird. Im vierten Quartal wollen die europäischen Währungshüter nun weniger Bonds kaufen als bisher. Viele im Markt hatten erwartet, dass es zu diesen Beschlüssen kommen wird, so mancher aber war davon ausgegangen, dass sich EZB-Chefin Christine Lagarde und ihre Kollegen im geldpolitischen Rat der EZB für diesen Entscheid womöglich noch etwas Zeit lassen werden. Und irgendwie haben doch beide Seiten Recht behalten.
EZB-Präsidentin Lagarde hat doch "lediglich" in Aussicht gestellt, dass es im vierten Quartal zu einer Rückführung dieser Bondkäufe kommen wird, aber ein konkretes Volumen dieser Drosselung haben die Verantwortlichen bei der EZB nicht genannt. Und die EZB-Chefin vermied auch, diese Maßnahme als Tapering zu deklarieren. Sie betonte sogar, dass es sich hierbei nicht um ein Tapering handeln würde. Genau das lässt tief blicken. Und genau darauf müssen sich die Märkte einstellen. Es wird nämlich kein Tapering im bekannten Sinne mehr geben, denn die Erfahrungen damit sind schlichtweg zu negativ, und die EZB kann sich die Konsequenzen einer solchen Ankündigung des Tapering und der anschließenden Durchführung desgleichen schlichtweg nicht leisten.
Die EZB vermeidet nicht nur das Wort Tapering, sondern sie wird im Markt im vierten Quartal auch genau so auftreten, dass man ihr "Kaufverhalten" oder "Nichtkaufverhalten" genauso interpretieren kann. Wer soll denn auch schon bei einem Bondkauf sagen können, dass es sich hierbei um die Wiederanlage von Kupons von Bonds handelt, die im Portfolio der EZB sind, oder dass es womöglich Rückflüsse von Nominalwertzahlungen aus auslaufenden Anleihen waren? Oder waren es doch Käufe im Rahmen von PEPP? Waren es nur geringere Käufe, weil es schlichtweg im Handel aufgrund der hohen Preise nicht mehr von diesem Bond gab? Es ist doch bekannt, wie schnell die Bonds bei Neuemissionen wegplatziert sind und wie schwer es ist, nach einigen Wochen noch Stücke von dem Material zu bekommen. In manchen Fällen ist es sogar unmöglich, noch Papiere zu erhalten. Vielleicht kauft die EZB dann ja auch aus diesem Grund weniger. Oder hat die EZB deshalb nicht gekauft, weil ihr der Preis in dem Moment dann doch zu hoch war? Hat die EZB - und darauf müssen sich die Märkte dann auch einstellen - vielleicht auch mal aus taktischen Gründen nicht gekauft? Einfach null Volumen, um mal zu gucken, wie der Markt reagiert, wenn mal nicht oder nur weniger gekauft wird? Denn genau das gehört auch zur Marktsondierung, und zwar gerade beim Tapering. Aber vielleicht hat die EZB dann auch deshalb weniger im vierten Quartal an Bonds gekauft - was der Markt dann in seiner Breite auch erst im ersten Quartal 2022 wissen wird -, weil sie weniger kaufen wollte, also weil sie tapern wollte. Viele, viele Fragezeichen.
Und auf was sollten sich die Marktteilnehmer einstellen? Sie sollten sich darauf einstellen, dass es bei der EZB bzw. ihren Marktaktivitäten genauso weitergeht wie bisher. Die EZB leistet Unterstützung für die Märkte - so wie die Akteure auf den Märkten es auch erwarten. Und die EZB liefert weiterhin. Und damit wird das Verhalten der EZB im Markt auch weiterhin Raum für Spekulationen bieten: Weniger Käufe bedeuten nun Tapering oder weniger Käufe bedeuten irgendwas anderes? Genau das wird die EZB den Marktteilnehmern nicht erklären. Und sie tut gut daran. Denn so vermeidet sie Irritationen im Markt und demzufolge Anpassungsreaktionen an den Märkten, vor allem an den billionenschweren Bondmärkten und auch an den Aktienmärkten sowie an den Devisenmärkten - Anpassungsreaktionen, die der EZB dann selbst wieder zum Verhängnis werden könnten, weil sie aufgrund der von ihr selbst ausgelösten Reaktionen wieder eingreifen müsste, um selbige dann wieder zu beheben. Sie will ja gerade die günstigen Finanzierungsbedingungen in der Eurozone erhalten - also die durch ihre eigenen Käufe ausgelösten niedrigen Bondrenditen - und gleichzeitig ja auch irgendwann mal aus diesem Szenario aussteigen und den Markt wieder sich selbst überlassen. "Dosiert" soll es erfolgen - wie Lagarde meinte. Und so wird es das dosierte Tapering, das im Sprachgebrauch der EZB gar kein Tapering ist. Das ist Tapering à la Lagarde.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Kai Johannsen