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WAZ: Ein Tabuthema: Späte Abtreibungen

Archivmeldung vom 23.03.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.03.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Spätabtreibungen sind fürchterlich. Ein Kind im Mutterleib, eigentlich schon lebensfähig, wird mit einer Kalium-Chlorid-Spritze ins Herz getötet und anschließend herausgeholt.

Das ist bis unmittelbar vor der Geburt erlaubt, wenn sich die werdende Mutter auf die medizinische Indikation beruft: Wenn sie argumentiert, dass ihr durch ein Austragen eines schwer behinderten Kindes entweder seelisch oder körperlich ein nicht zumutbarer Schaden entstehen würde. Das geschieht nicht zehntausendfach in Deutschland, aber es findet statt.

Unbestritten ist, dass dies der Gesetzgeber nicht wollte, als er diese „erweiterte medizinische Indikation” einführte. Weder Parlament noch Regierung haben beabsichtigt, behindertes Leben für die Zukunft quasi abzuschaffen und doch sind wir auf dem Weg dort hin: Behinderte Kinder sind selten geworden, was eben nicht nur auf medizinischen Fortschritt zurückzuführen ist, sondern auch auf diese Abtreibungspraxis.

Machen wir uns nichts vor: Was hier passiert, ist die schonungslose Schlussfolgerung aus der Unterscheidung zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben. Doch so sehr diese Abtreibungspraxis auch Gefühle verletzt, die nicht einmal zwingend christlicher Natur sein müssen: Skandalgeschrei wäre fehl am Platz. Schon die herkömmliche, am häufigsten angewendete Abtreibungspraxis sortiert Leben aus, nur werden hierfür soziale Gründe ins Feld geführt. Ein Trost kann das nicht sein. Nach dem libertären Motto: Wenn schon die materielle Lage einer Mutter (oder der Eltern) die Tötung eines Fötus' rechtfertigen kann, dann doch um so mehr eine medizinische Bedrohung der Mutter. Tatsächlich haben wir uns daran gewöhnt, menschliches Leben nicht mehr per se für unantastbar zu halten. Es handelt sich um einen hingenommenen Verfassungsbruch (bei der Sterbehilfe wird diese Grenze ebenso aufgeweicht).

Was die Abtreibung anbelangt, so handelt es sich auch um einen Fluch des medizinischen Fortschritts, der vorgeburtlichen Diagnostik. Sie stellt angehende Eltern vor Entscheidungssituationen, die vor wenigen Jahren fast undenkbar waren. Vor allem Mütter können in kaum noch erträgliche Situationen geraten. Zu lösen ist der Konflikt, der auch Ärzte in Gewissensnot bringen kann, letztlich nicht. Man kann keine klare Entscheidung treffen, sondern nur einen Entscheidungsprozess moderieren.

Auch nach der 12. Schwangerschaftswoche sollte es eine Pflicht zur Abtreibungs-Beratung geben. Und zwischen der Diagnose für den Fötus und einem Schwangerschaftsabbruch sollten drei Tage liegen. Die Idee dahinter lautet: Panik verhindern. Mindestens das ist man dem Kind im Mutterleib schuldig. Mit einem generellen Aufschnüren des § 218 hat dies nichts zu tun. Vielleicht bietet gerade die große Koalition eine Chance, dieses hoch emotionale Thema unideologisch zu lösen. Wenn man dann am immer bedrückenden Ende überhaupt noch von Lösung sprechen mag.

Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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