WAZ: Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Unerfreuliche Gemengelage
Archivmeldung vom 02.01.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.01.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVermuten wir doch einfach, dass eine ganze Reihe von Politik-Mechanismen ihre Gültigkeit ins Jahr 2007 herübergerettet haben. Allen Weihnachts- und Neujahrsansprachen zum Trotz vermuten wir weiter, dass manches mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragenes Ziel aus dem Handbuch der nimmermüden Floskeln abgeschrieben wurde.
So will sich etwa die Bundesregierung während ihrer
EU-Ratspräsidentschaft um den Bürokratieabbau kümmern. Klingt gut,
erinnert aber fatal an diverse Regierungen, die sich diese Losung auf
die Fahne geschrieben hatten und anschließend ist nichts passiert.
Zwei weitere Vermutungen: Zum einen wird es auch bei der europäischen
Politik mehr um die mediale Verpackung gehen als um Inhalte, und zum
anderen wird die Bundeskanzlerin als amtierende EU-Ratspräsidentin
außenpolitische Erfolge suchen, um halbwegs elegant konfliktträchtige
Reformen im Inneren vermeiden zu können.
Doch dieses Unterfangen dürfte schwierig werden. Die EU befindet
sich kurz vor ihrem 50. Geburtstag in ihrer wahrscheinlich schwersten
Krise. Vor knapp anderthalb Jahren haben Franzosen und Holländer
gegen die EU-Verfassung gestimmt. Seitdem herrscht politisch
Stillstand, obwohl eine gemeinsame Sicherheits-, Energie- und
Sozialpolitik unverzichtbar ist. Die Europäische Union hat sich
vergrößert und die Kompromisse werden immer schwieriger. Der kleinste
gemeinsame Nenner ersetzt eben keine kraftvolle Politik.
Die Themenliste für Angela Merkel ist lang, die Erwartungshaltung
hoch. Partnerschaftsabkommen mit Russland, Kosovo, Zypern-Streit,
Nahost-Krise, iranische Atompläne. Nicht zu schweigen vom fehlenden
Vertrauen der Bürger in die europäischen Institutionen, dem
schwierigsten Feld für Europapolitiker. Problemverschärfend kommt
hinzu, dass Merkel in den kommenden sechs Monaten wenig
Ansprechpartner hat, mit denen das große europäische Rad gedreht
werden kann. Tony Blair ist auf dem Rückzug, Frankreich im Wahlkampf,
die Niederlande, Österreich und Tschechien lavieren sich ohne
Regierungen durch. Die EU-Kommission zeigt keine Stärke. Das ist die
Gemengelage für Merkel. Vielleicht sehnt sie sich nach kurzer Zeit
wieder zurück zu den Sticheleien aus Bayern, an die Manöver von
Unions-Ministerpräsidenten oder den Koalitionspartner, der jüngst
ankündigte, einen Gang aus dem innenpolitisch nötigen Reformprozess
herausnehmen zu wollen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung