Börsen-Zeitung: Die ignorierte Schuldenkrise
Archivmeldung vom 02.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn der Eurozone häufen sich die schlechten Nachrichten: So hat Irland bekannt gegeben, dass die Sanierung des maroden Bankensystems der Insel deutlich teurer kommt als bislang gedacht. Rund 50 Mrd. Euro statt bisher geschätzter 35 Mrd. Euro muss die Regierung insgesamt aufwenden. Das Haushaltsdefizit des Landes wird im laufenden Jahr satte 32% des Bruttoinlandsprodukts betragen - was dem Zehnfachen der in der Europäischen Union (EU) erlaubten Obergrenze entspricht.
Hinzu kommt, dass Moody's das Rating Spaniens gesenkt hat, was zugegebenermaßen nicht ganz unerwartet gekommen ist. Die Iberer haben damit bei allen drei großen Agenturen ihr Triple-A-Rating eingebüßt.
"Double Dip" im Fokus
An Freitag ist es dann noch schlimmer gekommen. Sowohl in Spanien als auch in Irland kündigt sich das an, wovor die Ökonomen Angst haben: In beiden Ländern dürfte ein "Double Dip"-Szenario Realität werden. In Irland und Spanien sind die Einkaufsmanagerindizes für die verarbeitende Industrie unterhalb der Schallgrenze von 50 Zählern hereingekommen, was auf einen Rückfall in die Rezession hindeutet. In Irland waren auch noch die Einzelhandelsumsätze für den August deutlich rückläufig, wenn man den dort notorisch volatilen Automobilabsatz ausklammert.
Und noch ein dritter hoch verschuldeter EU-Peripheriestaat bereitet weitere Probleme: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OECD) hat jetzt von der portugiesischen Regierung öffentlich zusätzliche Sparanstrengungen verlangt.
Risiken im Bankensektor
Hinzu kommen die hartnäckigen Risiken im europäischen Bankensektor, die sich aktuell unter anderem darin manifestiert haben, dass Moody's das Rating der vom irischen Staat übernommenen Anglo Irish Bank von "A3" gleich um drei Notches auf "Baa3" gesenkt hat. An den Märkten tun die Akteure aber noch so, als gehe sie das alles nichts an. So ist die Volatilität deutscher Aktien gemessen am VDax-New in den vergangenen vier Wochen nochmals deutlich zurückgegangen, und zwar von einem Indexstand von 25 auf ein Niveau von derzeit rund 20. Und zum Wochenausklang wurde bei europäischen Aktien nach den Verlusten der Vortage zunächst wieder auf Erholung umgeschaltet. Der Dax legte am Freitag deutlich zu, ehe er dann freilich als Reaktion auf enttäuschende US-Daten ins Minus rutschte. Ferner haben sich am Bondmarkt die Renditeaufschläge für die drei EU-Peripheriestaaten deutlich von den Höchstständen zu Beginn der abgelaufenen Handelswoche entfernt.
Und der Euro, dem derartige Nachrichten von der Schulden-Front noch im Frühsommer einen Schwächeanfall beschert hätten, hat sich am Freitag auf ein Sechsmonatshoch jenseits von 1,37 Dollar begeben. Dazu trug allerdings bei, dass sehr konjunkturpessimistische Äußerungen von William Dudley, dem Präsidenten der New Yorker Fed-Filiale, am Devisenmarkt wie eine Bombe einschlugen. Dudley gab nämlich die bisher klarste Indikation, dass die US-Notenbank neue quantitative Maßnahmen zur Stützung der US-Wirtschaft einleiten wird - was den Dollar erwartungsgemäß stark gegenüber wichtigen Partnerwährungen unter Druck gesetzt hat. Es handelt sich derzeit also weniger um eine Euro-Stärke als vielmehr um eine Dollar-Schwäche.
Unterschätzte Gefahren
Wie es scheint, werden also die Risiken, die sich für die Eurozone aus den vorgenannten Ländern sowie aus der nach wie vor angespannten Lage Griechenlands ergeben, insbesondere von Aktienanlegern aktuell unterschätzt. Am Credit-Markt sieht man die Dinge realistischer: So weisen die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) darauf hin, dass die marktimpliziten Ausfallwahrscheinlichkeiten europäischer Staaten derzeit weit über ihren historischen Durchschnittswerten liegen.
Es muss übrigens kein Dauerzustand werden, dass die Anleger die sich fortsetzende Schuldenkrise nicht mehr auf ihrem Radarschirm haben. Die LBBW weist darauf hin, dass Ähnliches schon im April dieses Jahres zu beobachten war. Im Mai setzten dann ein deutlicher Anstieg der Volatilität und kräftige Kursverluste ein.
Quelle: Börsen-Zeitung