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Neue Westfälische (Bielefeld): Grüner Aufschwung

Archivmeldung vom 25.09.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.09.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Für Gerhard Schröder war es klar: Bei Rot-Grün ist die SPD der Koch und die Grünen der Kellner. Doch die jüngsten Umfragen nähren Zweifel: Übernimmt der Kellner nun bald auch das Kochen? Was ist der Grund für den Höhenflug der einstigen Anti-Parteien-Partei? Die grünen Ursprungsthemen sind in aller Munde: Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Klimawandel, Nein zur Atomkraft.

Wie eifrig sich mittlerweile auch die sogenannten Bürgerlichen um Baumbestand und seltene Tierarten sorgen, zeigt der Protest gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21". Dass wir in einer "Dagegen"-Republik leben, hat allgemein mit dem Ansehensverlust von Politik und speziell mit Schwarz-Gelb zu tun. Alles was diese Bundesregierung tut, steht mittlerweile unter dem Generalverdacht einflussreiche Lobbys zu bedienen - von der Steuerermäßigung für Hoteliers bis zu den Geheimverhandlungen mit der Atomlobby. Nicht einmal die gute Konjunktur reicht aus, um den galoppierenden Ansehensverlust zu stoppen. Gegen eine Regierung, der nur eine Minderheit vertraut, wirken die einstigen Alternativen wie der Hort an Glaubwürdigkeit. Schon immer waren sie gegen Atomkraft oder gegen Stuttgart 21. Diese Prinzipientreue zahlt sich nun aus. Auch weil die Konkurrenz schwächelt. Die CDU  erscheint zunehmend beliebig. Die SPD ist noch auf demSelbstfindungstrip. Die FDP ist vielen zu einseitig, und die Linke wird als heillos verknöchert empfunden. Die Grünen haben Prinzipien, aber jeder weiß, dass sie auch Kompromisse schließen können. Wenn es sein muss, ziehen sie sogar in den Krieg. Aber vorher reden sie ausführlich darüber. Die größte Stärke der Grünen ist immer noch ihre Diskussionsfähigkeit. Keine andere Partei hat sich je mit dem Für und Wider der Sachen so intensiv und stellvertretend für alle auseinandergesetzt wie die Grünen. Die Ökopartei sagt derzeit zu vielem Nein. Das kommt prima an. Im Protest des Bürgertums schwingt unübersehbar ein nostalgisches Sehnen nach heiler Welt mit. Dieses Gefühl bedienen die Grünen ohne Probleme. Aber bei einem Land mit 80 Millionen Menschen stößt der Wunsch nach Idylle schnell auf Grenzen. Sogar das Zeitalter der Erneuerbaren Energien kommt ohne infrastrukturelle Riesenprojekte wie zum Beispiel neue Überlandleitungen nicht aus. Unter Garantie gibt es auch dagegen wütende Proteste. Aber dann werden die Grünen Ja sagen müssen. Denn eine Volkspartei mit einer Verantwortung für das große Ganze zu sein, heißt auch, sich gegen populäre Stimmungen zu stellen. Das Wachstum der Grünen birgt also auch Risiken und Nebenwirkungen. Auch weil die Partei gerade völlig unterschiedliche Kreise anlockt: enttäuschte Konservative zum Beispiel. Aber auch Leute, die die Proteste radikalisieren möchten - man denke an den Tortenwurf auf Jürgen Trittin. Nach allen Seiten offen zu sein und sich gleichzeitig treu zu bleiben: Ob den Grünen dieser Spagat, wenn sie tatsächlich Volkspartei würden, besser gelänge als der SPD und der Union?

Quelle: Neue Westfälische

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