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Börsen-Zeitung: Die vermurkste Abgeltungsteuer

Archivmeldung vom 29.12.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.12.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Drei Jahrzehnte wurde über sie diskutiert, in drei Tagen tritt sie in Kraft: die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge. Es ist die folgenschwerste Neuregelung der Besteuerung dieser Einkunftsart seit Generationen. Teilweise ist damit ein Paradigmenwechsel im deutschen Steuerrecht verbunden.

Denn erstmalig in dieser Form und mit solcher Tragweite wird hier die steuerliche Ungleichbehandlung von Arbeit und Kapital eingeführt - ein Bruch mit einem vermeintlich in Stein gemeißelten Grundsatz. Ähnlich tief geht der Einschnitt, den die Abschaffung der Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen nach Ablauf der Spekulationsfrist bedeutet.

Bisher galt das Prinzip, dass sämtliche Einkünfte addiert und zum jeweiligen persönlichen Steuersatz dem Zugriff des Fiskus unterworfen werden. Frau X und Herr Y, die ein gleich hohes steuerpflichtiges Einkommen erzielen, die eine als leitende Angestellte in Form von Gehalt und Bonus, der andere als erfolgreicher Geldanleger durch Zins- und Dividendenerträge, zahlten im Grunde auch den gleichen Betrag an Vater Staat. Von 2009 an wird nun Frau X abhängig von der Einkommenshöhe weiter progressiv mit bis zu 45% zur Kasse gebeten, während Herrn Y nur noch pauschal 25% abgezogen werden (jeweils plus Solidaritätszuschlag und eventuell Kirchensteuer).

Ungleichbehandlung ist freilich nicht automatisch gleichbedeutend mit Ungerechtigkeit. Vielmehr gibt es für die Differenzierung zwischen Einkunftsarten, die ja auch dem bisherigen Recht nicht völlig fremd ist (man denke an unterschiedliche Freibeträge und andere Subventionstatbestände), durchaus gute, teilweise sogar zwingende Gründe: Erstens wird Geldvermögen - Redlichkeit des Steuerpflichtigen unterstellt - in aller Regel aus bereits versteuerten Einkünften gebildet, der staatliche Zugriff auf die Kapitalerträge läuft mithin auf eine fragwürdige Doppelbesteuerung hinaus. Zweitens rechtfertigt auch die Inflationsanfälligkeit des Geldvermögens mindestens eine günstigere steuerliche Behandlung. Diese Begünstigung dient drittens der Förderung des Sparens, die den Privathaushalten ebenso zugute kommt wie der Volkswirtschaft und dem Staat.

Die Steuerschuld auf Kapitalerträge mit einem pauschalen und vergleichsweise niedrigen Satz endgültig zu tilgen, ist vor diesem Hintergrund also absolut gerechtfertigt. Wird der Obolus zudem gleich an der Quelle, bei den Banken, einbehalten, ist insoweit auch die Steuerehrlichkeit gewährleistet, denn die Erträge werden lückenlos erfasst und belastet. Alles in allem ist die Abgeltungsteuer somit grundsätzlich eine vernünftige Sache. Und trotzdem ist Bundesregierung und Gesetzgeber mit ihrem "Jahrhundertwerk" alles andere als der große Wurf gelungen. Es wäre wohl auch eine Premiere gewesen, hätte man es hierzulande einmal geschafft, eine gute Idee nicht doch noch in der Rechtsetzung und Rechtsanwendung zu vermurksen. Dabei führt die große Koalition in Berlin sogar ihre eigene Politik ad absurdum. Zum einen wird nämlich durch die in jeder Hinsicht unbeschränkte Besteuerung der Veräußerungsgewinne das Sparen bestraft, das der Staat gleichzeitig an anderer Stelle - vor allem wenn es um die private Altersvorsorge geht - mit enormem Finanz- und Verwaltungsaufwand zu fördern versucht.

Zum anderen kommt es hier nun wirklich zu einer ebenso ungerechtfertigten wie ungerechten, zudem aus volkswirtschaftlicher Sicht kontraproduktiven Ungleichbehandlung. Während Anleger mit Zinserträgen bei einem persönlichen Steuersatz über 25% entlastet werden, müssen Sparer, die ihre Altersvorsorge künftig auf Aktien oder Aktienfonds aufbauen, schon zu einer Art Steuermasochismus neigen. Denn durch die Besteuerung der Kursgewinne, die im langjährigen Schnitt zwei Drittel der Gesamtperformance von Dividendenwerten ausmachen, und die mit der Abgeltungsteuer beschlossene Abschaffung des Halbeinkünfteverfahrens für Aktienerträge wird hier die Steuerbemessungsgrundlage im Vergleich zum Status quo sage und schreibe versechsfacht.

Nun könnte man sarkastisch feststellen, dem bisschen Aktienkultur, das es in Deutschland überhaupt je gab, habe ohnehin schon die Finanzkrise den Rest gegeben, da sei die Abgeltungsteuer dann auch egal. Doch im Ernst: Erstens werden nach der Krise gerade Vorsorgesparer vermutlich umso mehr auf Renditen angewiesen sein, die sich auf Dauer nur durch einen ausgewogenen Anlagemix unter Einbeziehung von Aktien erzielen lassen und die nicht gleich wieder zum Großteil vom Staat abgeschöpft werden. Zweitens sind die aus der steuerlichen Anreizwirkung resultierende Schlechterstellung des Eigenkapitals und vice versa die Bevorteilung der Fremdmittelaufnahme in betriebs- wie in volkswirtschaftlicher Hinsicht von Übel für die Unternehmensfinanzierung.

Die Reform der Kapitalertragsbesteuerung war eine geradezu historische Chance, auf einen Rutsch das Steuerrecht zu vereinfachen, die Bereitschaft zur privaten Vorsorge zu fördern, die Aktienkultur weiterzuentwickeln und die Eigenkapitalausstattung der Industrie zu stärken sowie damit den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland im internationalen Wettbewerb voranzubringen. Die Abgeltungsteuer in der Form, wie sie im Gesetzblatt steht und am Donnerstag in Kraft tritt, konterkariert jedes dieser Ziele. Das muss der deutschen Politik erst mal einer nachmachen!

Quelle: Börsen-Zeitung (von Bernd Wittkowski)

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