Westdeutsche Zeitung: TV-Duell
Archivmeldung vom 28.04.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm Tag danach ist es so, wie es immer ist in der Politik: Alle fühlen sich als Sieger. Nach dem TV-Duell zwischen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und seiner SPD-Herausforderin Hannelore Kraft kann man das sogar verstehen und eindeutig interpretieren: Es war ein Unentschieden, das am Ende der 60 Minuten stand. Für dieses Aufeinandertreffen war freilich der martialische Titel Duell unpassend, weckt das doch gleich Bilder von wütenden Kontrahenten, die sich mit Pistole oder doch wenigstens einem Florett attackieren.
Es war mehr ein gepflegter Austausch von altbekannten Forderungen, dessen Fluss selten von kritischen Moderatoren oder Angriffen des Gegners unterbrochen wurde. So schmutzig, wie es Vertreter von CDU und SPD bereits seit Wochen behaupten, ist dieser Wahlkampf also nicht, das ist der positive Aspekt. Rüttgers und Kraft gingen respektvoll miteinander um, offenkundig haben die Beraterteams eindringlich vor allzu heftigen Attacken gewarnt. Schließlich wird den Politikern seit Jahren von ihren Einflüsterern eingeimpft: Streit ist Kassengift an der Wahlurne. Doch unterschätzt man den Wähler damit nicht? Muss aus Angst vor einem klaren Wort wirklich jedes strittige Argument weggelächelt werden? Betrachtet man die 60 Minuten Rüttgers-Kraft, liegt diese Interpretation nahe. Ein bisschen mehr Pfiff, eine Spur mehr Emotion hätte der Diskussion gut getan. Dazu hätten auch die beiden Moderatoren beitragen können. Doch die begnügten sich mit der Rolle als Stichwortgeber. Kraft konnte sich Rüttgers auf Augenhöhe präsentieren. Das ist für sie ein Erfolg. Sie wirkte faktensicher, punktete vor allem beim Thema soziale Gerechtigkeit und wirkte authentisch. Rüttgers setzte Punkttreffer beim Thema Bildung und überraschte mit dem ein oder anderen - freilich sehr höflichen - Angriff, bei der er die Rollen tauschte und wie ein Herausforderer auftrat. Die Sendung hatte lediglich 720 000 Zuschauer, und das ist es, was Kraft bedenklich stimmen muss. Die SPD-Frau ist auf eine hohe Mobilisierung angewiesen, will sie Ministerpräsidentin werden. Rüttgers setzt mit seinem "Weiter-So"-Wahlkampf auf eine niedrige Wahlbeteiligung. Das sanfte Plätschern aus dem Fernsehstudio kommt ihm da gerade recht.
Quelle: Westdeutsche Zeitung