Westdeutsche Zeitung: Steinbrück
Archivmeldung vom 19.08.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMan muss den Deutschen nur ans Auto oder an den Urlaub wollen, und schon hat man eine Debatte am Hals, gegen die jedes Stammtischgeschwätz ein intellektueller Diskurs ist. Nun hat Peer Steinbrück also Haue gekriegt. Das ist gut für den Finanzminister, denn ein schlechtes Image ist allemal besser als gar keins. Besser Wohlstandspiranha als Fischkopf.
Was in der deutschen Erregungskultur untergeht: Peer Steinbrück
hat mit seiner Aussage einen zentralen Widerspruch im real
existierenden Kapitalismus berührt. Einerseits wird dem Bundesbürger
seit Jahren von Ökonomen eingetrichtert, sein Konsumstreik sei für
die Wirtschaftsmisere verantwortlich. Andererseits heißt es, er spare
in Anbetracht kollabierender Sozialsysteme nicht genug fürs eigene
Alter. Fragt sich: Welchen Sinn hat die oft als altmodisch
verspottete Sekundärtugend der Sparsamkeit in unserer
Überflussgesellschaft? Oder, um beim Beispiel zu bleiben: Macht ein
Leben ohne Dominikanische Republik Sinn? Global betrachtet ist die
Sache klar. Würden alle Erdenbürger so verschwenderisch mit den
Ressourcen umgehen wie die Menschen der Industrienationen, wäre unser
Planet in wenigen Jahrzehnten am Ende.
Auch angesichts des kollabierenden Generationenvertrags ist eine
neue Kultur der Bescheidenheit keine postmaterialistische Spinnerei,
sondern Notwendigkeit, da hat Steinbrück Recht. Allerdings müsste er
die Bundesbürger nicht darüber belehren. Ihr zurückhaltendes
Konsumverhalten zeigt längst, dass sie sich der neuen Realität
sensibel angepasst haben. Die Zukunft gehört einem maßvollen
Kapitalismus, in dem sich Menschen nicht mehr über materielle Exzesse
definieren. Und kein Ökonom sollte behaupten, diese Kultur des
Verzichts sei die Ursache der deutschen Konjunkturmisere.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Zeitung