Fanal für den Finanzplatz
Archivmeldung vom 02.09.2020
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Freigeschaltet durch André OttWährend andernorts die größte Tech-IPO-Welle seit der Jahrtausendwende rollt, verkündet hierzulande eines der wenigen Schwergewichte des am Finanzplatz ohnehin unterrepräsentierten Sektors die Rolle rückwärts. Rocket Internet, deren Going Public einst als "Eisbrecher" und "Leuchtfeuer" gefeiert wurde, sorgt mit dem angekündigten Rückzug von der Börse für ein ganz anderes Fanal.
Dabei mangelt es dem um vollmundige Sprüche nie verlegenen Gründer und Hauptaktionär Oliver Samwer wie gewohnt nicht an Chuzpe. Das Abfindungsangebot zum Mindestkurs von 18,57 Euro ist ein Schlag ins Gesicht des Streubesitzes, der immerhin rund 45 Prozent des Aktienkapitals ausmacht und mit diesem Investment zum allergrößten Teil nur Verlust gemacht haben dürfte. Denn die Rocket-Aktie, am oberen Ende der Bookbuildingspanne zu 42,50 Euro platziert, stürzte schon am Tag der Erstnotiz um rund 10 Prozent ab und kannte nach einer kurzatmigen anfänglichen Erholungsrally nur eine Richtung, und zwar gen Süden. Dividenden hat die als "Leuchtturm" für das Technologiesegment an der hiesigen Börse gehypte Start-up-Schmiede ohnehin nie gezahlt.
Das IPO des Internet-Unternehmens war damit auch ein Armutszeugnis für die emissionsbegleitenden Banken, die herkömmliche Maßstäbe bei der Preisfindung völlig außer Acht gelassen haben. Denn eigentlich kann die Kursentwicklung kaum überraschen, wenn man bedenkt, dass dem "Internet-Inkubator" zum Börsen-Start ein Wert von 6 Mrd. Euro zugemessen wurde, obwohl das Beteiligungsportfolio zeitgleich nur 2,6 Mrd. Euro wert war. Dem Management fehlte es danach an Genialität, um die Fantasielücke zu schließen. Stattdessen offenbarte Samwer nach wenigen gelungenen Exits - zu denen immerhin Delivery Hero zählte - eine unverhüllte Ideenlosigkeit, was neue Investmentmöglichkeiten anging. Stattdessen saß die Rocket-Führung mehr oder minder ratlos vor der prall gefüllten Kasse und erging sich in Aktienrückkäufen und strategisch unklaren, zumal kurzlebigen Beteiligungen.
Das unrühmliche Ende dieser Börsengeschichte markiert die unverhohlene Mitteilung, dass man den öffentlichen Kapitalmarkt zur Unternehmensfinanzierung erstens eigentlich nicht braucht; und dass man zweitens ohne lästige Publizitätspflichten den Geschäften auch besser nachgehen kann. Eine wahrhaft befremdliche Erkenntnis für ein MDax-Unternehmen, die die Güteklasse der Standardwerte am Finanzplatz erneut in einem zweifelhaften Licht erscheinen lässt.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Heidi Rohde