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Boersen-Zeitung: Chirac kapituliert

Archivmeldung vom 11.04.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.04.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wie sich doch die Bilder gleichen. Mit schöner Regelmäßigkeit kapitulieren französische Regierungen vor dem Druck der Straße und ziehen ihre Reformprojekte zurück. So auch diesmal.

Das Ende des Ersteinstellungsvertrages für Jugendliche (CPE) begräbt eine weitere Hoffnung, die seit Jahrzehnten bei weit über 20% liegende Jugendarbeitslosigkeit des Landes endlich einmal mit anderen Mitteln zu bekämpfen als nur mit neuen Subventionen.

Wieder einmal wurde eine Chance vertan. Zwar waren vom CPE keine Wunder zu erwarten. Aber einen Versuch wäre es wert gewesen, denn schlechter als jetzt kann es kaum noch werden. Eine Flexibilisierung des rigiden Arbeitsmarktes gerade für Schulabgänger könnte den in Frankreich besonders schwierigen Übergang von der Ausbildung in das Berufsleben etwas erleichtern.

Nun greift die Regierung wieder einmal in den Staatssäckel und schüttet Geld aus. Geld, das nur um den Preis einer weiteren Anhebung der ohnehin hohen Steuer- und Abgabenlast und der dramatischen Verschuldung zu mobilisieren ist. Geld, das mangels echter Reformideen schon in der Vergangenheit versandet ist, ohne irgendetwas zum Besseren zu wenden. Natürlich bedürfen die Jugendlichen aus den Problemgebieten besonderer Unterstützung. Doch die, die jetzt auf den Straßen waren, gehören gar nicht in diese Kategorie. Das sind die Kinder der Bourgeoisie, die davon träumen, als Beamte ein sorgloses Leben mit zahlreichen Privilegien zu führen. Wenn selbst der "rechte" Staatspräsident Jacques Chirac die 35-Stunden-Woche als soziale Errungenschaft bezeichnet, die man nicht in Frage stellt, wie sollen sie da ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass das Land über seine Verhältnisse lebt?

Frankreich braucht eine schonungslose Offenlegung der Situation. Doch dazu hat niemand den Mut, und selbst der ehrgeizige Innenminister Nicolas Sarkozy, der so gern anders sein will als Chirac, hat sich in der Krise eher als Opportunist denn als großer Reformer hervorgetan. Einstweilen heißt es in Paris: Weiter so wie bisher. Das Erwachen droht eines Tages bitter zu werden, und die dann notwendigen Maßnahmen werden umso schmerzhafter sein. Bis dahin wiegen sich die meisten Franzosen in der trügerischen Sicherheit, hinter sicheren Schutzmauern zu leben. Wehe, wenn die Dämme brechen.

Quelle: Pressemitteilung Börsen-Zeitung

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