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BERLINER MORGENPOST: Antrittsrede des Bundespräsidenten

Archivmeldung vom 03.07.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 03.07.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Er liest vor: kein Pathos, kein Timbre, keine Begeisterungsflammen. Dabei macht er eigentlich auch alles richtig: Er dankt seinen Gegnern, er dankt seinem Vorgänger, er dankt dessen Gattin. Alles sehr korrekt. Abgesehen vom Holperstart in den Amtseid - na ja, menschlich eben. Und so könnte man mit etwas gutem Willen feststellen: Es geht eine gewisse Selbstverständlichkeit aus vom neuen Mann am wichtigsten Rednerpult des Landes.

Spannend ist die nicht. Aber möglicherweise hilfreich? Eines muss man Christian Wulff lassen: Die leicht anämische, einrückende Kraft der Selbstverständlichkeit lässt ihn Dinge feststellen, die für viele eben doch noch nicht immer ganz so selbstverständlich sind. "Weniger danach fragen, wo jemand herkommt, als wo er hin will", fordert der Mann aus Niedersachsen, und Chancengleichheit in Deutschland für jeden, "egal, ob er Yilmaz heißt oder Krause". Das ist wahr und schön, und jemand, der so was einfach mal vorliest im Deutschen Bundestag, darf dann selbstverständlich auch fordern, dass bitte alle Kinder Deutsch lernen sollen in unserem Land. Und sonst? Wenn Wulff die Passage vom Geist der Demokratie vorliest, die "Gemeinschaftsgefühl und Begeisterung" brauche, dann fühlen sich viele bestätigt, die Wulffs Gegenkandidaten Joachim Gauck, den Mann des großen Wortes, den Charismatiker der Freiheit, als Schwergewicht im schon jetzt durchschnittlich genug plätschernden Politikbetrieb vermissen werden. Nun also Nüchternheit als Chance? Weniger Theaterdonner kann auch den Blick auf die Inhalte freigeben: So könnte man das sehen. Das, was Wulff uns sagt, wird dann allerdings deutlich gewichtiger sein müssen, um den lauten, manchmal schrillen, immer geschwätzigen Basislärm der Berliner Mediendemokratie zu überbieten. Die Stimme allein, die Aura, der Auftritt von Christian Wulff jedenfalls ist zum Überstrahlen bisher kaum geeignet. Und das Beispiel Köhler zeigt, dass es eben nicht reicht, sich auf die Autorität des Amtes zu verlassen. Das präsidiale Vakuum an der Spitze des Staates will ausgefüllt werden. Die Kraft der Autorität einer Biografie, einer Lebensleistung kann da helfen. Die Kraft eines mitteilungs- und begeisterungsfähigen Intellekts wäre noch besser. Mit Ersterem ist Wulff gar nicht erst angetreten. Er hat ordentlich Politik gemacht, in der Partei, im Ministerpräsidentenamt in Hannover. Letzteres aber muss er jetzt beweisen. Der Mann wird uns wirklich was zu sagen haben müssen, damit man ihm auch zuhört. Über das Charisma eines Staatsmannes entscheidet "eine aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geborene ganz persönliche Hingabe" der Menschen, sagt Max Weber. Nicht jeder Politiker löst in Deutschland heute diese Begeisterung aus. Und wenn man ehrlich ist, ist das auch nicht bei jedem nötig. Beim Amt des Bundespräsidenten wäre ein wenig Begeisterung allerdings schon hilfreich.

Quelle: BERLINER MORGENPOST

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