WirtschaftsBlatt: Fussball ist fast nur noch ein Geschäft - von Wolfgang Unterhuber
Archivmeldung vom 09.06.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlAb heute ist alles Fussball. Einen Monat lang wird getrickst, gefoult, gespuckt, geherzt. Und das vor durchschnittlich 500 Millionen TV-Zusehern pro Spiel. Warum Fussball (für Männer) so erotisch ist? Darüber rätseln sogar Philosophen. Am plausibelsten scheint die Theorie des Denkers Peter Sloterdijk: Männer seien tief in ihrem Inneren noch immer Jäger. Aber seitdem die letzten Nomadenvölker sesshaft geworden sind, ist es damit endgültig Schluss. Als Kompensation jage man(n) daher einem Ball hinterher.
Wie auch immer: Eines ist die Fussball-WM bestimmt: Ein Geschäft.
Zwischen der WM '82 in Spanien und '94 in den USA haben
internationale Konzerne das Spektakel Schritt für Schritt für sich
vereinnahmt. Das bringt das Ganze in bedenkliche Nähe zu einem
Geburtstagsfest in einer Irrenanstalt. Nach aussen hin herrscht
überbordende Super-Gaudi, um die Ecke stehen jedoch die strengen
Aufseher. Wehe den Fans, die in den Stadien Videoaufnahmen machen
oder Bilder mit Spiegelreflexkameras schiessen. Das ist verboten,
weil irgendwer für die Bildrechte bezahlt hat. Zeitungs-Fotografen
müssen auf ihrem technischen Equipment die Logos der Hersteller
überkleben, falls diese nicht zum erlauchten Kreis der Sponsoren
zählen. Rund um die Stadien gibt es richtiggehende Bannmeilen für
Nicht-Sponsoren.
Wer also sein eigenes Klopapier ins Stadion mitschleppt, auf dem
das Logo eines Nichtsponsors sichtbar ist, sollte äusserst
konspirativ vorgehen, um keinen Ärger mit dem Wachpersonal zu
bekommen. Unwillkürlich wird einem auch bewusst, dass diese WM den
grössten Polizeieinsatz seit der Baader-Meinhof-Rasterfahndung
heraufbeschwört.
Im Vorfeld zur WM gab es auch mehrere Spiele vor Gericht. Der
Streit um die Aktivitäten diverser Wettanbieter landete gar vor dem
Bundesverfassungsgerichtshof. Eine regelrechte juristische Schlacht
lieferten sich Adidas und Nike, als es um die Frage ging, wer den
argentinischen Superstar Lionel Messi vermarkten darf.
Was bleibt also abseits der Verbote, der Gerichtsurteile und der verordenten globalen Glücks-Hysterie unter Polizeischutz? Eine bis ins Letzte durchgestylte Inszenierung, deren einzige Spontanität noch im offenen Spielausgang liegt. Doch wie die aktuellen Fussball-Skandale zeigen, lässt sich auch das steuern.
Quelle: Pressemitteilung WirtschaftsBlatt