Lausitzer Rundschau: Zeit der Kompromisse
Archivmeldung vom 18.12.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAngela Merkel hat schon komfortablere Regierungszeiten erlebt. Was war das noch bequem, als sich die Kanzlerin auf solide Mehrheiten auch in der Länderkammer stützen konnte. Im ersten Jahr Schwarz-Gelb und erst recht in den vier Jahren der Großen Koalition. Damit ist es seit Freitag für jedermann sichtbar vorbei. Aus eigener Kraft können Union und FDP kein wichtiges Gesetz mehr durchbringen. Das belegt die Abstimmungsniederlage bei der Hartz-IV-Reform.
Die kommenden Landtagswahlen dürften diesen misslichen Zustand für Merkel noch verfestigen. So wird ein fast schon vergessen geglaubtes Kungel-Gremium wieder an Bedeutung gewinnen, das zuletzt in den späten Regierungsjahren von SPD und Grünen die Politik dominierte: der Vermittlungsausschuss. Die Renaissance dieser Art von Politik muss für Angela Merkel trotzdem kein Nachteil sein. Das von ihr einst im Wahlkampf 2005 verkündete Credo, die Republik "durchregieren" zu wollen, konnte sie sowieso nie realisieren, weil die SPD mitredete. Fortan waren andere Qualitäten gefragt. Und Merkel verstand sich geschickt darauf. Ihre Rolle als politische Moderatorin geriet erst in die Kritik, als sie auch im anschließenden Koalitionsbündnis mit der FDP daran festzuhalten suchte. So schaltete Merkel erst spät auf einen "Herbst der Entscheidungen" um, an den sich nach Lage der Dinge nun fast zwangsläufig wieder eine Zeit der Kompromisse mit dem politischen Gegner anschließen muss. Ob sie ihre Partei, die CDU, dabei mitnehmen kann, steht auf einem anderen Blatt. Denn das Feilschen um Kompromisse bedeutet auch immer eine Verwischung des eigenen politischen Profils. Wer jedoch dieses Risiko scheut, beschwört eine politisch blockierte Republik herauf. Höhere Regelsätze, subventioniertes Mittagessen und eine größere Bildungsteilhabe für arme Kinder sind indes das falsche Objekt, um das Vermittlungsverfahren auf die Spitze zu treiben. Denn was dazu bereits auf dem Tisch liegt, ist auf jeden Fall durchdachter und solider, als die geltende, verfassungswidrige Regelung. Das wissen auch SPD und Grüne. So lang ihr Wunschkatalog für eine zustimmungsfähige Reform auch sein mag, ein wirklicher Punktgewinn in der Wählergunst lässt sich an dieser Stelle durch eine Blockade kaum erzielen. Schließlich gibt es genügend Menschen, die sich ihr Auskommen hart erarbeiten müssen, aber trotzdem beinahe an der Armutsschwelle leben. Nicht nur die Regierung, auch die Opposition muss also an einer zügigen Einigung interessiert sein. Für Angela Merkel sind das nicht die schlechtesten Ausgangsbedingungen, um in die Zeit der All-Parteien-Kompromisse zu wechseln. In ihre alte Rolle als Moderatorin.
Quelle: Lausitzer Rundschau