Boersen-Zeitung: Industrie an der Spritze
Archivmeldung vom 30.05.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.05.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie AEG schließt ihr Hausgerätewerk in Nürnberg. VW bessert bei den Abfindungsprämien nach, um sich schneller von bisherigen Mitarbeitern trennen zu können - nachdem auch andere namhafte Autoproduzenten scharfe Schnitte in die Personaldecke angekündigt hatten.
Zugleich scheinen Großinvestitionen nur noch jenseits der Grenzen machbar zu sein, wird von dem 120 Mill. Euro teuren Ausbau bei Porsche in Leipzig für die neue, vierte Modellreihe, das Sport-Coupé Panamera, mal abgesehen.
In einem solch trüben Umfeld strahlt die 2,5 Mrd. Dollar schwere
Investition des US-Chipproduzenten AMD umso heller. Damit stockt der
Intel-Konkurrent seine Investitionen in Dresden auf gut 8 Mrd. Dollar
auf, seitdem er vor bald zehn Jahren den Bau der ersten Fabrik für
Athlon-Prozessoren gestartet hatte. Inzwischen arbeiten rund 2800
AMD-Beschäftigte im sächsischen "Silicon Valley" - in dem weitere gut
8000 bei Infineon, Qimonda, ZMD und den benachbarten Siltronic- und
Solarworld-Werken tätig sind. Kein Zweifel, mit der Ansiedelung
großer Adressen hat die sächsische Landesregierung einen ihrer
größten und am weitesten strahlenden "Leuchttürme" errichtet. Dafür
haben die freistaatlichen Politiker gut 1 Mrd. Euro allein für
Zuschüsse für die Mikroelektronik zur Verfügung gestellt, mit denen
die umfangreichen Investitionen angeschoben wurden.
Grob geschätzt - konkrete Zahlen verweigern die Beteiligten -
dürfte AMD für seine neue Investition reichlich 260 Mill. Euro (oder
gut 310 Mill. Dollar) als gesetzlich einklagbare Investitionszulage
erhalten. Dafür modernisieren die Amerikaner ihre inzwischen
veraltete Fertigung in ihrer ersten "Fab", wo Prozessoren immer noch
auf Waferscheiben mit einem Durchmesser von 200 Millimetern
aufgebracht werden. Die mittlerweile übliche Technologie nutzt
300-mm-Scheiben, auf denen gut doppelt so viele Prozessoren Platz
finden.
Unterbliebe die jetzt bekannt gegebene Modernisierung, müsste AMD
die Produktion in ihrer ersten Fabrik in Kürze schließen, weil sie
unrentabel wird. In dieser Branche sind die Innovationszyklen kurz.
Ob eine schlichte Modernisierung aber genauso gefördert werden soll
wie eine Neuansiedelung, ist mehr als fraglich. Aber ohne Zuschüsse
investiert die offensichtlich danach süchtig gewordene Industrie
nicht mehr - und der Staat ist dadurch erpressbar geworden.
Quelle: Pressemiktteilung Börsen-Zeitung