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Die Leipziger Volkszeitung zu Kinder/Gipfel

Archivmeldung vom 20.12.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.12.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Geboren, gequält, gestorben. Plakativ wirbt das Kommissariat für Delikte an Schutzbefohlenen in Berlin seit drei Jahren für mehr Zivilcourage. In der Bundeshauptstadt werden deutschlandweit die meisten Fälle von Kindesmisshandlung bekannt. 472 sind es im Jahr 2005, im vergangenen Jahr 563.

Während Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder im Bundeskanzleramt über die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz debattieren, leiden drei Stadtteile weiter, in Neukölln, Hellersdorf und Marzahn, die Jüngsten der Gesellschaft. Jedes dritte Kind lebt hier an der Armutsgrenze, trägt im Winter die Sommerjacke und stellt sich in der Suppenküche an. Auf was diese Kinder ein Recht haben? Einmal Reden am Tag? Jede Woche einen sauberen Pullover? Einmal Liebhaben im Monat? Eltern haben ein Sorgerecht. Damit verbunden ist die Pflicht, dieses Recht zum Wohl des Kindes auszuüben. Darüber wacht, so steht es in Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes, Vater Staat. Wo Eltern versagen, wo Kinder zu vernachlässigen drohen, hat dieser Staat das Recht, Kinder von ihren Eltern zu trennen. Die Kevins, Lea-Sophies, Jessicas, Mehmets dieser Republik - sie starben nicht an einer unzureichenden Gesetzeslage, sondern daran, dass Jugend- und Gesundheitsämter, Familiengerichte und Sozialarbeiter das Recht dieser Kinder auf staatlichen Schutz und Fürsorge nicht verwirklichen konnten. Vater Staat war nicht zu Hause, als sie verkümmerten, verwahrlosten, verhungerten. Das Recht auf Leben, auf Unversehrtheit, auf eine gewaltfreie Erziehung: Niemand klagte es für diese Kinder ein. Die Schuld allein auf die Jugendämter zu schieben, ist zu einfach. Sie leiden auch - unter gekürzten Etats, unbesetzten Stellen, eingesparten Fortbildungen, überfordertem Personal. Neben den Kindern verwahrlost die öffentliche Verantwortung. Das ist das Fadenscheinige an der politischen Debatte: Kinderschutz will jeder, kosten darf er aber nichts. Was nutzt eine Magna Charta für Kinder, wenn keiner an der Tür klingelt und fragt, warum die Kleine wieder so laut schreit; wenn keiner Hilfe anbietet, wo sie nicht verlangt wird; wenn keiner hinsieht, wo viele nicht hinsehen wollen: ins Private. Ein Grundrecht für Kinder auf Gesundheit, Entwicklung und Entfaltung, wie es die SPD propagiert, ist kein Ersatz für Mitgefühl, Nächstenliebe und Fürsorge. In der Thüringer Verfassung aus dem Jahr 1993 sind Kinderrechte bereits verankert. Im Artikel 19 heißt es: "Kinder und Jugendliche sind vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch und Gewalt zu schützen." Seitdem gab es zehn Fälle von Kindstötungen im Freistaat. Zudem registriert die Ambulanz für Kinderschutz am Universitätsklinikum Jena eine konstante Zahl von Misshandlungs-Fällen. Wo staatliches Handeln individuelle Not nicht erfasst, kann es keine Hilfe geben.

Quelle: Leipziger Volkszeitung (von Simone Liss)

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