Mittelbayerische Zeitung: zu Griechenland-Wahl/Euro
Archivmeldung vom 19.06.2012
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.06.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWas für eine Dramaturgie: Die Schicksalsgöttinnen der Antike hätten das Drehbuch für die Fußball-EM nicht spannender schreiben können. Im Viertelfinale heißt es Deutschland gegen Griechenland. Aus sportlicher Sicht könnte man sagen, freuen wir uns auf eine Partie, die ihren Reiz aus dem Duell Fußball-David-gegen-Goliath bezieht.
Aus psychologischer Sicht aber wird aus dem Freitagskrimi ein Treffen von ungeheurer Symbolkraft. "Schickt Deutschland aus der EURO" und "Bringt uns Merkel", titelten griechische Zeitungen. Ein Fußballspiel wird in der hellenischen Öffentlichkeit hochstilisiert zur Abrechnung mit dem verhassten Oberlehrer, der den Schüler nur maßregelt und gängelt. Die Rache-auf-dem-Rasen-Schlagzeilen der Athener Sportpresse mögen ebenso verkaufsfördernd wie polarisierend wirken - sie zeigen jedoch durchaus, wie sehr die griechische Psyche in der Schuldenkrise unter den als Diktat empfundenen Sparvorgaben der Nordländer leidet. Die Politik darf dies nicht als Petitesse abtun, nicht als Quengelei eines schwierigen Schülers, der seine Hausaufgaben nur widerwillig erledigt. Denn solche Zeilen bilden ab, wie sehr es inzwischen brodelt. Eigentlich müssen sich die Griechen fühlen wie ein Ertrinkender, dem man die eine Hand hinhält, um ihn aus dem Wasser zu ziehen. Und mit der anderen Hand drückt man ihm dann die Gurgel zu. Aus dieser Sichtweise betrachtet hätte ein Erdrutschsieg der radikalen Linken am Sonntag nicht überrascht. Die Griechen hatten die Wahl zwischen schlecht und schlimm. Hätten sie dem Populisten Alexis Tsipras zu einer Mehrheit verholfen, wäre das ein Votum für eine Rückkehr zur Drachme und eine völlige Isolation innerhalb der EU gewesen - mit unabsehbaren Folgen für das Land. Diese Angst bescherte dem Konservativen Antonis Samaras die knappe Mehrheit. Damit kommt nun voraussichtlich ein Politiker an die Macht, der wie kaum ein anderer im Land für das verkrustete und korrupte alte Griechenland steht, für Ineffizienz, Selbstbedienung und Beratungsresistenz. Es sei daran erinnert, dass Kanzlerin Angela Merkel Samaras gewaltig unter Druck setzen musste, ehe er den EU-Sparvorgaben zustimmte. Das Wahlergebnis hat es aus weiteren Gründen in sich: Die Bildung einer stabilen Mehrheit wird sich nach der Verweigerung von Tsipras, eine Koalition der Nationalen Einheit einzugehen, noch schwieriger gestalten. Die radikale Linke spekuliert darauf, dass sich eine künftige Samaras-Regierung bald selbst zerlegt und Tsipras sich dann als großer Retter inszenieren kann. Das Positive an dem Wahlergebnis ist, dass Athen nun wenigstens eine demokratisch legitimierte Regierung bekommt - auch wenn sie wackelnd und wankelmütig an den Start geht. Doch an den Problemen in Griechenland ändert sich ebenso wenig wie an der Ausgangssituation für die Euro-Retter. Die Geberländer, allen voran Deutschland, dürfen ihre bisherige Strategie nicht über Bord werfen. Es muss auch künftig gelten: Hilfe ja, aber nur, wenn Athen die Reformversprechen erfüllt. Ansonsten käme das Land nie aus dem Tief und viel schlimmer noch: Andere Schuldensünder könnten sich ermutigt fühlen, auch so weiterzumachen wie bisher. Sollte sich Samaras also als Trickser und Täuscher erweisen, muss die EU den Griechen die Rote Karte zeigen. Beim EURO-Viertelfinale am Freitag zählt nur das Resultat. Bei der Euro-Rettung ist jedoch auch entscheidend, auf welche Art und Weise man zu einem Ergebnis kommt. Ein kleines Entgegenkommen beim Lehrmeister Deutschland - so wie es Außenminister Guido Westerwelle andeutete - könnte Griechenland eine goldene Brücke bauen, auf die das Volk dort wartet. Ein zeitlicher Aufschub für die Erneuerung des Landes würde den Menschen wieder Luft zum Atmen lassen, und ein wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm eine Perspektive bieten. Das wären Grundvoraussetzungen für einen Befreiungsschlag. Denn ohne Unterstützung des Volks werden sich Reformen kaum durchsetzen lassen. Im Gegensatz zum Fußball zeichnet sich Klugheit in der Außenpolitik dadurch aus, den anderen nicht als Verlierer dastehen zu lassen.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)