WAZ: Kampf gegen die Magersucht
Archivmeldung vom 17.04.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIrina war zu dick. Befand Heidi Klum, warf die 19-Jährige vorzeitig aus ihrer Casting-Show und löste damit eine Diskussion um die Rolle der Medien im Kampf gegen einen unheimlichen Gegner aus. TV-Shows wie "Germany's next Topmodel" treiben Mädchen in die Magersucht, behaupten die Gegner und fordern Maßnahmen gegen die Diktatur der Dürre.
Irina wog zum Zeitpunkt ihres Rausschmisses übrigens 52
Kilogramm, gleichmäßig verteilt auf das stattliche Gardemaß eines
Möchtegern-Models, war also nach landläufiger Auffassung alles andere
als dick. Heidi Klums Jury verteidigte ihre Entscheidung mit dem
Hinweis auf die Regeln der Modewelt, die nun mal Models wie
Strichmännchen wünsche.
Dagegen sollte man was tun, und das ist auch zum Glück schon
geschehen. Erstmals haben Veranstalter von Modeschauen zuletzt ein
Mindestgewicht festgelegt und Mager-Models vom Laufsteg verbannt.
Dass in Frankreich demnächst die Verherrlichung oder Verharmlosung
von Magersucht generell unter Strafe gestellt werden soll, ist ein
weiterer Schritt auf dem richtigen Weg.
Es ist nicht so einfach zu beweisen, dass Vorbilder in den Medien
junge Menschen dem Schlankheitswahn in die Arme treiben. Genetische
Disposition oder biologische Veränderungen im Gehirn könnten auch
eine Rolle spielen, heißt es in aktuellen Studien. Schauen wir auf
die Zahlen. Allein in Deutschland sind angeblich fünf Millionen an
einer Essstörung erkrankt. Jedes 200. Mädchen leidet inzwischen an
Magersucht oder der verwandten Bulimie, der Ess-Brechsucht. Und rund
15 Prozent der Erkrankten sterben. Verhungern, ziehen sich
irreparable Organschäden zu oder nehmen sich verzweifelt das Leben.
Der Schlankheitswahn als Schönheitsideal spielt hier zweifellos
eine Rolle. Wenn Victoria Beckham sich auf Jeansgröße 0
runterhungert, setzt das einen Trend. Wenn Heidi Klum eine propere
Kandidatin wegen angeblichem Übergewicht aus dem Verkehr zieht,
korrigiert die Fangemeinde die eigene Vorstellung vom Idealgewicht.
Ein Schönheitsideal, und sei es auch ein falsches, kann man
natürlich nicht so einfach verbieten. Frankreichs Vorstoß, die Sucht
per Gesetz zu stoppen, ist dennoch vorbildlich. Suchtkranke haben auf
Laufsteg und Magazinseiten nichts zu suchen. Internet-Foren, in denen
sich Essgestörte bis zum traurigen Finale gegenseitig anfeuern,
gehören verboten. Da hat der Staat durchaus eine Fürsorgepflicht.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Ulrich Schilling-Strack)