Westdeutsche Zeitung: Die geistig-unmoralische Wende
Archivmeldung vom 12.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn C- oder besser: Z-Prominente in Kakerlaken baden oder in Maden beißen, dann weiß man nicht, wer einem mehr leid tun sollte: die Möchtegern-Promis, die Tiere - oder jene, die das Privat-Fernsehen zu einer einzigen Sudel-Suppe verkommen lassen und nicht erkennen, wie sehr sie ihrer eigenen Sache damit schaden.
Die Manager von RTL und ProSieben wettern gegen das Gebühren-Fernsehen, dabei sind es allein ARD und ZDF, die sich mit Qualitätsangeboten wie Tagesschau, 37 Grad, Aspekte oder Quarks & Co. gegen die drohende Verblödung der Nation stemmen - obwohl sie der Versuchung nicht ganz widerstehen können, sich hier und da von der Privatkonkurrenz auf Abwege führen zu lassen.
Nein, das kann es nicht gewesen sein, was Helmut Kohl und seine
CDU uns einst als "geistig-moralische Wende" verkaufen wollten, als
sie die Einführung des Privatfernsehens propagierten:
Voyeurismus-Shows à la Big Brother, pornografische
Ruf-mich-an-Werbefilmchen, Gerichtssendungen mit völlig talentfreien
Laiendarstellern und nicht zu vergessen: die grenzdebilen
Bei-Anruf-Abzocke-Quizshows mit oder ohne
superbusig-wasserstoffperoxidierenden Moderatorinnen, die keinen Satz
geradeaus sprechen können.
Immerhin dämmert einigen Christdemokraten inzwischen, welches
Kind sie da geboren und großgezogen haben. Wenn sich in den
nachmittäglichen Talkshows die Vertreter des Prekariats öffentlich
verbal die Köpfe einschlagen dürfen, dann ist zumindest nicht
auszuschließen, dass das unsere Gesellschaft insgesamt noch ein Stück
gewalttätiger macht. In jedem Fall fördert das "Sch...-Fernsehen",
wie es Ministerpräsident Oettinger ebenso deftig wie treffend
formulierte, nicht gerade Bildung und Kultur in Deutschland.
Was daraus folgt? Das öffentlich-rechtliche Fernsehen bleibt
unverzichtbar, so lange das Privat-TV nur auf Quote und kurzfristige
Rendite starrt und seine gesellschaftliche Verantwortung ignoriert.
Und wenn mit Blick auf die Jugendkriminalität schon über so viele
Gesetzesänderungen schwadroniert wird: Wie wäre es mal mit einer
Stärkung der zahnlosen Landesmedienanstalten? Schließlich bleiben
noch wir Zuschauer. Wozu riet Peter Lustig immer am Ende seiner
Löwenzahnsendung? Abschalten!
Quelle: Westdeutsche Zeitung