Lausitzer Rundschau: zu: Der Zustand der großen Koalition in Berlin
Archivmeldung vom 05.07.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.07.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWillkommen im Hier und Jetzt. Nach der gestrigen Morgenlektüre der Zeitungen müssen sich die Koalitionsspitzen wie verprügelt fühlen. Das öffentliche Echo auf ihren "Durchbruch" bei der Gesundheitsreform war verheerend - zu Recht.
Wer geglaubt hat,
die große Koalition ist zu ebenso großen Würfen fähig, wer sich das
von den Regierenden hat einreden lassen, der muss spätestens jetzt
einsehen: Diese Koalition ist eine Enttäuschung. Vor allem, weil
diese Koalition nicht wirklich geführt wird. Die Schönredner im Bund
wollen einem ja immer noch anderes weismachen, doch die Realität hat
sie längst eingeholt: Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Chef Kurt Beck und
CSU-Chef Edmund Stoiber. Von Handlungsfähigkeit und
zukunftsträchtigen Schritten war gestern bei ihrem gemeinsamen
Auftritt die Rede. Das zeugt von einer gewissen Dreistigkeit - man
würde sie am liebsten rütteln und schütteln, damit sie wach werden.
Denn Fakt ist: Zum 1. Januar 2007 wird die Mehrwertsteuer erhöht, die
Bezugsdauer des Kindergeldes gekürzt, werden die Pendlerpauschale
zusammengestrichen, die Rentenversicherung teurer und die
Krankenkassenbeiträge ordentlich angehoben. Außerdem soll es den
Hartz-IV-Empfängern weiter an den Kragen gehen, weil sie als
Prügelknaben für die Kostenexplosion durch ein miserables Gesetz
herhalten müssen. Für all diese Maßnahmen, die ja zum Teil die
Konjunktur deutlich dämpfen werden, hätte es keine große Koalition
gebraucht - sieben Monate nach Amtsantritt gehen Schwarze und Rote
mit Rücksicht auf Partikular- und Parteiinteressen die einfachsten
der einfachen Wege. Jede andere Konstellation wäre vermutlich mutiger
ans Werk gegangen und hätte sich den vorhandenen Reformwillen der
Bürger zu Nutze gemacht. Aber statt der großen Strukturreformen
verwaltet die schwarz-rote Koalition ihre eigene Ratlosigkeit. Sie
neutralisiert sich, stilisiert deshalb den kleinsten Kompromiss zum
größten Erfolg.
Alles eine Frage der Führung. Die Kanzlerin führt aber nicht, sie
lässt laufen. Sie moderiert noch nicht einmal, denn das würde ja
bedeuten, dass man am Ende mit strategischer und inhaltlicher
Überzeugungskraft kluge Ergebnisse herbeiführt. Fehlanzeige. Der
SPD-Chef führt auch nicht, er ist vielmehr überfordert bei der
Zähmung der Widerspenstigen in Partei und Fraktion. Das ist genau das
Gegenteil von Stärke, das tut man aus konzeptioneller Hilflosigkeit.
Und auch nur, wenn gar nichts mehr geht. Vermutlich ist das aber das
wahre Problem dieser bei Union und SPD so ungeliebten Koalition: Es
geht nichts mehr. Oder es ging nie wirklich etwas. Dies
einzugestehen, würde von den Koalitionären Mut bedeuten. Aber den hat
das Bündnis weiß Gott nicht.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau