WAZ: 60 Jahre Volksrepublik China
Archivmeldung vom 02.10.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittPanzer, Raketenwerfer, Soldaten, ausgesuchte Chinesen im Gleichschritt - die Volksrepublik China hat zum 60. Jahrestag ihrer Gründung auf dem Platz des Himmlischen Friedens Stärke demonstriert. Vor dem übergroßen Bildnis von Mao Zedong, der hier die Volksrepublik ausrief, beschwor Chinas Präsident Hu Jintao die Einheit des Landes und seine glorreiche Zukunft.
60 Jahre - das ist im geschichtsbewussten chinesischen Zeitverständnis nicht einmal ein Wimpernschlag. Als sich die Briten 1947 die Herrschaft über Hongkong für 50 Jahre festschreiben ließen, schmunzelten die Chinesen über den Kleingeist der Europäer und feierten die Übernahme der britischen Kronkolonie 1997 als gigantischen Triumph. Hongkong ist bis heute einer der Motoren für Chinas rasante Entwicklung.
Die Führung in Peking gibt sich selbstbewusst und feiert inzwischen die Feste, wie sie fallen - auch, um sich selbst zu inszenieren. Seit 60 Jahren regiert die Kommunistische Einheitspartei mit eiserner Hand. Ein Staat, eine Partei, eine Meinung - zumindest nach außen. Doch nicht nur das Land (1949 lebten 540 Millionen Menschen in China, heute sind es 1,3 Milliarden), auch die KP hat sich verändert. Der Kommunismus hat als Ideologie ausgedient. Das Land sucht einen Weg zwischen Markt und Mao, lebt den Kapitalismus und wird immer mächtiger. Als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat, größter Gläubiger der USA und drittgrößte Wirtschaftsmacht hat sich China, seit Deng Xiaoping Wirtschaftsreformen einleitete, zur Weltmacht gemausert. Die einzige neben den USA. Und sie wird gebraucht - nicht nur als Vermittler in Nordkorea oder beim Druck auf den Iran.
Das macht den Umgang mit der Führung in Peking nicht leichter. Denn auf ihrem Weg nach oben erlauben die Mächtigen keinen Blick zurück. Die 30 Millionen Hungertoten beim fehlgeschlagenen Versuch der Industrialisierung, die zig Millionen Verfolgten der Kulturrevolution, die Millionen mundtot gemachten Intellektuellen, die Opfer vom Platz des Himmlischen Friedens, die entrechteten Tibeter und Uiguren werden unter einen gigantischen Teppich gekehrt. Und wehe dem, der ihn anhebt. Das alles will gar nicht passen zum zur Schau gestellten Selbstbewusstsein.
Nach außen ist China stark, innen aber verletzlich. Die Kluft zwischen Arm und Reich. Und nur solange es wirtschaftlich bergauf geht, wird der Aufstiegswille der Chinesen als gesellschaftlicher Kitt genügen. Doch die Sollbruchstellen sind sichtbar.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung