WAZ: Über Politik und Unterhaltung Gibt es noch richtige Typen?
Archivmeldung vom 21.07.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittGestern rief das Radio an. Wollte wissen, ob die Politik nicht immer farbloser werde, was auch daran liege, dass es kaum noch Charakterdarsteller gäbe, anders als damals, bei Brandt, Schmidt, Strauß usw. Nun kann man solche Fragen stellen, irgendwas muss gesendet werden; und Sommerloch ist schließlich auch.
Es geht also um den Unterhaltungsfaktor von Politik. Davon wollen
viele Menschen nichts wissen, denn sie halten Politik für ein
seriöses, mindestens unterhaltungsfernes Geschäft. Selbstredend ist
eine Debatte über Details der Pflegeversicherung oder der Postreform
so unterhaltsam wie das Telefonbuch und dennoch nötig. Aber dies ist
noch kein Beweis dafür, dass Politik und Unterhaltung zwei Welten
sind. Das Gegenteil ist richtig. Man mag es beklagen, aber Politik
ist einem breiten (oft nicht Zeitung lesenden) Publikum nur noch über
zwei Wege vermittelbar: über Dramatisierung oder eben Unterhaltung.
Jedenfalls sind davon die Politikdarsteller selber überzeugt.
Wäre das anders, die Kanzlerin hätte sich nicht über Monate
hinweg bei den jeweiligen Fortschritten ihrer Frisur ablichten lassen
müssen. Der Umweltminister müsste sich nicht bei dem für einen doch
eher unsportlichen Typ ungeeigneten Versuch fotografieren lassen,
einen großen Felsen heraufzuklettern. Der Landwirtschaftsminister,
der eine zeitlang das Etikett bio-dynamisch auf einseitige, für
CSU-Leute eher unvorteilhafte Weise interpretierte, hätte es nicht
nötig, seine Fortschritte bei der Zusammenführung der alten
Kernfamilie von der Bild-Zeitung auf dem Tennisplatz im Bild
festhalten zu lassen.
Und was die angebliche Typen-Armut anbelangt: Es gibt sie nicht.
Auch darum nicht, weil wir Medien Helden lieben. Und Anti-Helden. Wie
Kurt Beck neuerdings, mit dem wir zeilenlang leiden. Oder Edmund
Stoiber, den man nicht einmal mehr bei seinem Abtreten karikieren
muss. Das Politik-Publikum mag Helden auch und verteilt seine
flüchtige Gunst derzeit besonders einseitig auf Angela Merkel. Von
der Kanzlerin wird stets gemeint, sie agiere als
Konsens-Regierungschefin naturwissenschaftlich nüchtern und damit
blass. Schon vergessen, die absolut profihafte Inszenierung der
Merkel als Retterin des Weltklimas und der Europäischen Verfassung?
Politik ist eher langweilig. Straßenfeger gibt es selten. Darum die Inszenierungen. Das aber war zu keiner Zeit anders. Und die Typen, die gibt es immer. Jede Zeit bringt ihre ganz speziellen hervor. Warum sollte man das dem Radio verschweigen?
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung