Westdeutsche Zeitung: Die Bahn muss auf den "Bedienzuschlag" verzichten
Archivmeldung vom 13.09.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.09.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSchon das Wort hatte einen Klang wie eine Ohrfeige: "Bedienzuschlag". Wer wollte, konnte den Schlag schon klatschen hören: 2,50 Euro für jede einfache Fahrt, bei Hin- und Rückfahrt 5 Euro sollten fällig werden für den Kauf einer Fahrkarte am Bahnschalter.
Und es bedurfte eines Aufschreis der Bevölkerung, einer Intervention der Kanzlerin und einer eilig anberaumten Krisensitzung, um diesen groben Unfug wieder zurückzunehmen. Einen Unfug übrigens, der zudem rechtlich auf sehr zweifelhaften Füßchen stand: Eine von Banken geplante Schaltergebühr hatten die Gerichte schon zuvor einkassiert. Aber auch in der Sache war dieser Zuschlag, der vor allem Menschen getroffen hätte, denen das Internet verwehrt und Beratung wichtig ist, in keiner Weise begründet. Hat doch die jüngste Tariferhöhung um knapp vier Prozent die Einnahmen der Bahn auf 30 Milliarden angehoben. Welchen Sinn machen da die eingeplanten 50 Millionen, die dann in der Regel die ohnehin eher Schwachen allein aufzubringen hätten? Was hat sich Bahnchef Mehdorn dabei gedacht, für ganze 0,2 Prozent die Nation erneut in Aufruhr zu versetzen? Mehdorn muss inzwischen als eine Art Quartals-Irrer gelten. Wie kaum ein anderer schafft er es, die Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber der Privatisierung öffentlicher Aufgaben immer wieder aufs schlimmste zu bestätigen. Beim Lokführerstreik war es einer der Bahn gewogenen Propaganda fast schon gelungen, den Lokführer-Chef Manfred Schell in die Nähe des Terrorismus zu rücken, da genügte ein öffentlicher Auftritt Mehdorns - und der polternde Lokführer erschien dem Publikum als der Robin Hood der Entrechteten, und Mehdorn hatte wieder die gewohnte Schurkenrolle. Anders, so steht zu befürchten, fühlt er sich offenbar einfach nicht wohl. Mehdorn mag für die allen Widerständen zum Trotz von der Politik gewollten Bahn-Privatisierung unverzichtbar sein. Doch der Imageschaden, den die Bahn durch ihren unsensiblen Chef schon in den vergangenen Jahren und nun - als ob das alles nicht genügt hätte - durch die jüngsten Fehlentscheidungen erlitten hat, lässt sich in Euro und Cent kaum exakt aufrechnen. Gewiss aber ist: Dieser Schaden überwiegt die erhofften Mehreinnamen bei weitem.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Eberhard Fehre)