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Im Jahr des Chaos

Archivmeldung vom 04.01.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.01.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Am ersten Handelstag des neuen Jahres herrschte an den internationalen Finanzmärkten noch eitel Sonnenschein. An der Wall Street stiegen die drei großen Aktienindizes wieder einmal auf Allzeithochs, und auch diesseits des Atlantiks gab es deutliche Gewinne an den Aktienmärkten. Nur einen Tag später sah die Situation schon wieder gänzlich anders aus.

Die jüngsten Ereignisse im Irak machen den Marktteilnehmern die großen Risiken deutlich, die das Potenzial haben, für starke Verwerfungen an den Märkten zu sorgen. Dabei geht es nicht nur, aber auch um politische Risiken - wie sie jetzt wieder die Schlagzeilen beherrschen. Im vergangenen Jahr haben sich die politischen Konflikte rund um den Globus an vielen Orten deutlich verschärft, was zu einem starken Anstieg der Kriegsgefahr geführt hat. An erster Stelle zu nennen ist der Versuch der USA, den Aufstieg der großen eurasischen Landmächte China und Russland mit allen Mitteln zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen, um so die globale Vormachtstellung Amerikas zu zementieren.

An Orten wie den baltischen Staaten, der Ukraine, Syrien sowie dem Südchinesischen Meer hätten dabei ohne weiteres bereits militärische Konfrontationen entstehen können - und in der Folge scharfe Korrekturen an den Finanzmärkten. Im vergangenen Jahr war es jedoch ein Glücksfall für die Märkte, dass sämtliche führenden Akteure auf beiden Seiten der jeweiligen Konflikte ein erstaunliches Maß an Zurückhaltung und Mäßigung bewiesen. Das galt nicht nur für den amerikanisch-iranischen Konflikt, sondern auch beispielsweise für die Konfrontation zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan, deren Militärs zeitweise bereits aufeinander schossen.

Dass diese überall zu spürende Zurückhaltung ein ungewöhnlicher Glücksfall war, machen die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten deutlich. Der amerikanische Mordanschlag auf einen prominenten iranischen General und - das sollte nicht übersehen werden - einen hohen General des mit den USA verbündeten Irak entbehrt jeglicher strategischer Weitsicht und lässt für die kommenden Monate Schlimmes erahnen. In die für die Energieversorgung der Welt unentbehrliche Region rund um den Persischen Golf ist damit Chaos und Ungewissheit zurückgekehrt. Es besteht die Gefahr, dass der Ölpreis, der bereits deutlich reagiert hat, in völlig neue Dimensionen steigt. Die Folge davon wäre eine schwere Rezession der Realwirtschaft rund um den Globus - mit verheerenden Folgen für die Finanzmärkte, die sich bereits in einem recht anfälligen Zustand präsentieren.

Die aber wohl größte ökonomische Gefahr geht von der global exorbitant gestiegenen Verschuldung aus. Nach Schätzungen des Institute of International Finance (IIF) sind die Schulden weltweit per Ende 2019 auf den Rekordstand von 255 Bill. Dollar geklettert. Im gerade beendeten Jahr kletterten sie damit um nicht weniger als 12 Bill. Dollar. In den entwickelten Ländern stieg die Verschuldung per Ende 2018 - neuere Daten gibt es dazu nicht - auf 256 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit auf ein höheres Niveau als vor der Finanzkrise von 2008/09.

Die Analysten der Bank of America merken dazu an, dass das größte Rezessionsrisiko in einem ungeordneten Anstieg der Credit Spreads und in der Folge einem Abbau des Leverage liege. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnt in einer Studie vor der Gefahr einer neuen Finanzkrise. Und laut Einschätzung der Weltbank stellt die aktuelle Situation eine besondere Gefahr dar, weil von dem Anschwellen der Verschuldung sowohl Staaten als auch Unternehmen und private Haushalte betroffen sind und weil rund drei Viertel der Staaten weltweit bereits jetzt Haushaltsdefizite aufweisen.

Zwar muss es nicht dazu kommen, dass die geschilderten politischen Konflikte und ökonomischen Verwerfungen in diesem Jahr eskalieren. Vielleicht geht es auch noch einmal gut, womit aber die Ungleichgewichte weiter zunehmen würden und damit die Krisengefahren in den Folgejahren. Es besteht aber eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass es nach einem Jahr 2019 mit relativer Stabilität und stattlichen Erträgen an den Finanzmärkten nun zu einem Jahr der Konflikte und des Chaos und in der Folge erheblichen Korrekturen an den Kapitalmärkten kommt.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Dieter Kuckelkorn


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