Mittelbayerische Zeitung: Autonimie, nicht Ignoranz
Archivmeldung vom 28.04.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.04.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie beruhigende Nachricht kam gestern um 15 Uhr über den Agenturticker: "Playstation-Spieler sind frustriert, weil sie seit Tagen nicht online gegeneinander spielen können." Nach Bekanntwerden des größten Datendiebstahls in der Geschichte des Internets gehen die Betroffenen mit gutem Beispiel voran und lenken den Blick aufs Wesentliche: Daten futsch - na und`? Wann kann ich wieder "Alien Zombie Death" gegen José aus Buenos Aires spielen?
Es scheint, also ob Hobby-Pädagogen sich jetzt wieder auf die Schultern klopfen können: "Ha, ich wusste schon immer, dass Daddeln ignorant macht." Doch man sollte die Gefahren für den einzelnen Internetnutzer nach diesem, zugegeben, spektakulären Vorfall nicht überbewerten. Denn schließlich gibt es genau wie beim Diebstahl des Portemonnaies mitsamt allen Karten und Dokumenten auch erprobte Werkzeuge, sich gegen die Auswirkungen von Datenklau im Netz abzusichern. Verschiedene Passwörter benutzen, die Anti-Virensoftware aktualisieren, Kontobewegungen beobachten, Alarmbereitschaft gegenüber Phishing-Attacken zeigen und die Kreditkarte sperren - all das gehört zum Alltag des Nutzers kommerzieller Internetangebote. Der Vorfall bei Sony verdeutlicht allerdings den Unterschied zur gestohlenen Geldbörse: Im Netz geht es um die Daten von Millionen Menschen, die mit einem Handstreich bestohlen werden können. Nachdem vergangene Woche bekannt geworden war, dass Apple die Toilettengewohnheiten seiner mobilen i-Flottenbesitzer speichert, wird der Vorfall bei Sony die Debatte um Datenschutz im Internet zweifellos weiter anfachen. Doch was tun? Während bei Apple der Fall klar scheint - es gibt Daten, die sollte man nicht speichern - muss man überprüfen, ob Sony in diesem Fall Versäumnisse vorzuwerfen sind. Ist der Konzern leichtfertig mit seinen Sicherheitsstandards umgegangen? Das ist nicht auszuschließen, aber schwer nachzuweisen. Ist es ein Verbrechen, dass ein Hacker sich besser mit der Sicherheitstechnik auskennt als der Hersteller? Selbst wenn es so wäre, was ist die Konsequenz? Es gibt keine Richtlinien für das Betreiben digitaler Netzwerke, auch wenn diverse Experten dies seit einiger Zeit fordern. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass gesetzliche Bestimmungen im Netz nicht nur umstritten, sondern auch denkbar schwer umzusetzen sind. Wer setzt die Sicherheitsstandards für den Umgang mit persönlichen Daten im Internet fest? Und für welches Land? Wer überprüft ihre Einhaltung und wie geht man mit Softwarepatenten in diesem Zusammenhang um? Die Diskussion scheint sich ständig zu wiederholen. Trotzdem müssen diese Fragen immer wieder gestellt werden. Bis zu ihrer Klärung müssen sich zumindest die Nutzer kommerzieller oder registrierpflichtiger Angebote im Internet bewusst sein, dass es hier eines autonomeren Sicherheitsbewusstseins bedarf als im "normalen Leben". Wer sich im Vorhinein richtig absichert, im Nachhinein schnell handelt und nicht naiv durch die digitale Welt marschiert, den muss ein Einbruch beim Playstation-Netzwerk nicht mehr kosten als die Bestellung einer neuen Kreditkarte. Im Übrigen war es bisher durchaus üblich, dass die betroffenen Netzwerkbetreiber aus Kulanz für solche Kosten aufkamen. Spinnt man diesen Gedanken weiter, könnten auf Sony Kreditkartenentschädigungen in Höhe von, grob geschätzt, 1,5 Milliarden Euro zukommen. Schlimmer wäre es wohl, wenn José jetzt aus Verzweiflung mit Maria ins Kino geht, anstatt vor der Konsole zu hocken.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung