Börsen-Zeitung: FDP ohne Disziplin
Archivmeldung vom 30.06.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittErst war sie zu langsam, nun wieder zu voreilig. Für die FDP scheint es schwierig zu bleiben, nicht nur den richtigen Ton und die richtigen Themen, sondern auch das richtige Tempo zu finden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war verständlicherweise "not amused", dass der liberale Koalitionspartner nun nicht mehr nur mit realitätsfernen Wünschen Unruhe in das Regierungsbündnis bringt, sondern sogar von frisch getroffenen gemeinsamen Entscheidungen abrückt.
Dabei wollte FDP-Generalsekretär Christian Lindner nur die neue Zeit für die Liberalen einläuten, als er einräumte, dass die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen Ende 2009 ein Fehler war.
Schwindende Zustimmung, historisch niedrige Umfragewerte und der Regierungsverlust im wichtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen haben die Liberalen in Alarmstimmung versetzt. Parteivorsitzender Guido Westerwelle ist unter Druck. In einer zweitägigen Klausursitzung hat er seinen Führungsanspruch verteidigen müssen. Die Partei will nun über Wirtschafts- und Finanzpolitik hinaus ihr Themenspektrum erweitern und mit Akzenten bei Bürgerrechten, Bildungspolitik sowie einem aufstiegsorientierten Sozialstaat breitere Kreise ansprechen. Zudem soll das Grundsatzprogramm überarbeitet werden.
Das Problem der Liberalen wird sich damit allein aber nicht lösen lassen. Richtig ist: Die FDP hat zu spät gemerkt, dass Rufe nach Steuersenkungen nicht in eine Zeit passen, in der die Wirtschaftskrise die öffentlichen Kassen strapaziert. Das Empfinden der Bürger war realistischer als das der Volksvertreter. Viel problematischer ist aber das undisziplinierte Agieren innerhalb des Regierungsbündnisses.
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) bringt sich gegen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Stellung und besetzt Themen, die nicht in sein Ressort fallen: den Europäischen Währungsfonds, Ratingagenturen oder die Steuerreform. Es geht weniger um Inhalte, über die eine Koalition trefflich streiten kann und sollte, vielmehr sind die Auseinandersetzungen über die Öffentlichkeit mit dem Koalitionspartner kein Zeichen souveräner Regierungspolitik, sondern ein Relikt aus der Opposition. Disziplin kann nur der Parteivorsitzende in die Truppe bringen. Das wäre jetzt die wichtigste Aufgabe für Westerwelle.
Quelle: Börsen-Zeitung