Berliner Morgenpost: Ein weiterer Rückschlag für Müntefering
Archivmeldung vom 26.11.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWolfgang Clement war nicht irgendwer in der SPD. Er war Pressesprecher der Bundespartei, Ministerpräsident im sozialdemokratischen Stammland Nordrhein-Westfalen, schließlich Bundeswirtschaftsminister im Kabinett Gerhard Schröder - und als solcher erst Spiritus Rector und dann Vollstrecker der Hartz-IV-Reformen.
Wenn so einer sein Parteibuch zurückgibt, dann müssen im Berliner Willy-Brandt-Haus alle Alarmsirenen schrillen. Wolfgang Clements Rücktrittsgründe legen denn auch schonungslos die Führungsschwäche der derzeitigen Parteispitze offen - wie auch den Mangel an Sinn für wirtschaftspolitische Realitäten. Keine Frage, besonders solidarisch ist der Westfale mit seiner Partei nie umgegangen. Anders als seinen politischen Ziehvater Johannes Rau kümmerte ihn das Seelenleben der Partei wenig. Mehr schon sein eigenes. Deshalb seine höchst parteiunfreundliche Warnung vor der Wahl Frau Ypsilantis in Hessen, deretwegen ihn seine heimische NRW-SPD ausschließen wollte. Das hat Clement tief gekränkt. Und auch mit der Rüge der Bundesschiedskommission konnte er sich nicht abfinden. Dass er sich auf diese Verfahren überhaupt eingelassen und nicht schon vorher die Partei verlassen hat, kommt einer weiteren Provokation sehr nah. Sie trifft vor allem seinen alten Weggefährten Franz Müntefering. Der hatte sich als Parteichef in der Kommission noch für Clement stark und als Brückenbauer verdient gemacht. Für "Münte" eine politische wie menschliche Enttäuschung zugleich. Selbst ein Freispruch hätte wohl an Clements Entscheidung nichts geändert. Denn im Kern geht es ihm um die Sache. Und um die ist es in der Tat in der SPD schlecht bestellt. Clement mag gehofft haben, dass mit dem Führungswechsel hin zu Müntefering und Steinmeier seine Partei zurückfinden werde auf einen wieder verlässlichen Kurs. Nicht allein Wolfgang Clement ist enttäuscht worden. Zu einem klaren Trennungsstrich gegenüber der Linkspartei kann sich die SPD nicht durchringen. Im Gegenteil, in allen Ländern ist sie mittlerweile zu Bündnissen mit der Partei Lafontaines und Gysis bereit. Weit entfernt von den Realitäten in einem Industrieland wie Deutschland auch die von Clement zu Recht beklagte Wirtschafts- und Energiepolitik der SPD, die meint, ohne Kernenergie auszukommen. Ohne Kursänderung, so der Ex- Wirtschaftsminister, drohe eine De-Industrialisierung. Dass der auch noch um die Meinungsfreiheit in seiner alten Partei fürchtet, ist nach seinen und den Erfahrungen der vier Gewissenstäter in Hessen keine Überraschung mehr. Die SPD hat einen Unbequemen, aber auch einen ihrer Besten verloren. Das ist bitter. Noch bitterer angesichts der bevorstehenden Wahlkämpfe: die bürgerlichen Parteien haben einen neuen Zeugen der Anklage.
Quelle: Berliner Morgenpost