LVZ: Überfordert
Archivmeldung vom 30.10.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.10.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittStolz nahmen Kanzler und Außenminister zur Kenntnis, dass mit jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr die Bedeutung Deutschlands in der Welt stieg. Was mit Bosnien 1995 unter Kohl begann, wurde unter Rot-Grün fast zur Normalität.
Deutsche Ordnung und Zuverlässigkeit waren bei
internationalen Kriseneinsätzen gefragt. Das Bundeswehrbarrett als
neuester Exportschlager - schnell entstand der Eindruck: Wir sind
wieder wer, auch in Uniform.
Im Gleichschritt ging es marsch, marsch vom Balkan bis zum Horn von
Afrika, der Blick für die Realität blieb dagegen auf der Strecke. Es
mangelte nicht an kritischen Stimmen, die vor einer Überforderung der
international unerfahrenen Wehrpflichtarmee warnten. Doch in der Ära
Schröder-Fischer wurden sie gern überhört oder kaltgestellt. Zur Not
auch per Vertrauensfrage im Bundestag, die der eitle Buchautor
Schröder natürlich nicht als Erpressung sieht, sondern als seine
Handlungsstärke verklärt.
Nun plötzlich, aufgeschreckt durch Schock-Fotos mit Totenköpfen,
wissen es alle besser. Es mutet seltsam an, wenn ausgerechnet
Ex-Verteidigungsminister Struck in den Chor der Bedenkenträger von
Auslandseinsätzen einstimmt. Noch im Amt, plagten ihn solche Zweifel
nicht. Da raunzte der SPD-Bollerkopf alle Kritiker mit der nie
erwiesenen These an, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt
wird. Dabei ist die Frage nach Sinn oder Unsinn mancher
Bundeswehr-Mission durchaus berechtigt. So drohen die israelischen
Kriegsspielchen im Mittelmeer den Kritikern des Libanon-Einsatzes
Recht zu geben. Das Mandat für die deutschen Marineboote scheint weit
weniger robust, als von Kanzlerin Merkel gern glaubhaft gemacht wird.
Und wenn in Küstennähe erst die libanesische Regierung um Erlaubnis
für Waffenkontrollen gebeten werden muss, dann ist ein zahnloser
Tiger im Vergleich zu diesen Leichtmatrosen noch ein gefährliches
Raubtier.
Andererseits gehen die Forderungen nach einem schnellen Rückzug
gerade aus Afghanistan zu weit. Mit dem überhasteten "Kehrt marsch!"
wäre niemandem gedient. Der Bundeswehr nicht, denn nach dem
moralischen Kollaps im Knochenfeld käme dies einem Abzug in Schande
gleich. Den Afghanen wäre aber ebensowenig geholfen. Längst sind
Stillstand und Rückschritte auf dem Weg zu demokratischen Strukturen
sichtbar. Schreckensherrscher vom Schlage eines Gulbuddin Hekmatjar
warten nur auf den Abschied der "Besatzer."
Doch selbst bei einem Rückzug der Auslandstruppen bleibt Deutschland
nicht die Grundsatzdebatte erspart, wie es zu dieser Verrohung der
Sitten kommen konnte. Hier machen es sich all jene zu leicht, die den
Erziehungsauftrag der Bundeswehr einfordern. Mag sein, dass manches
Muttersöhnchen beim Bund das Bettenbauen und Kartoffelschälen lernt.
Doch in einer Gesellschaft, in der Beliebigkeit im Trend liegt und
werteorientiertes Handeln in Vergessenheit gerät, sind auch Ausbilder
in Uniform hoffnungslos überfordert. Vielleicht ist der morgige
Reformationstag eine gute Gelegenheit, über reformatio, die
notwendige Erneuerung und Umgestaltung im Land der "German Angst"
nachzudenken.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung