WAZ: Angriff als Ablenkung - SPD & Union oder: Wem das Glück fehlt
Archivmeldung vom 12.06.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn du bei deinem Gegner eine Wunde gefunden hast: Gib dir keine Mühe, such nicht länger. Nach dieser so einfachen wie einfallslosen Taktik verdrischt die CDU die SPD. Was deren Generalsekretär Pofalla über die SPD sagt - sie sei keine Volkspartei mehr, versage gegen die Linke, habe keinen Kanzlerkandidaten - ist zwar nicht falsch, aber erschreckend durchsichtig.
Beispiel Kanzlerkandidat: Damals konnte Helmut Schmidt den
Pfälzer Helmut Kohl so lange verhöhnen, bis Franz Josef Strauß es
wurde, um zu verlieren. Angela Merkel bekam erst ihre Chance, nachdem
Wolfgang Schäuble an sich selbst gescheitert war und Edmund Stoiber
gezeigt hatte, dass Deutschland lieber ohne CSU-Kanzler auskommt.
Jede Opposition tut sich schwer mit ihrem Kanzlerkandidaten und die
Union hat dieses Problem ausschließlich nur deshalb nicht, weil sie
gerade die Kanzlerin stellt. Die Politik funktioniert eben nach dem
Abba-Motto: The winner takes it all. Der Verlierer geht nicht nur
leer aus, sondern hat auch noch allen Ärger.
Beispiel Linkspartei: Pofallas Behauptung, die SPD habe im Kampf
gegen die Linkspartei versagt, enthält die Unterstellung, es sei
ausschließlich Sache der Sozialdemokraten, die Linkspartei zu
neutralisieren. Das ist falsch. Zwar will Lafontaine sich an der SPD
rächen, aber dessen Partei kann auch im bürgerlichen Lager punkten:
Die Angst vor dem Abstieg aus der Mitte plus
DDR-Geschichtsvergessenheit ist weit über SPD-Sympathisanten hinaus
verbreitet. Indem Pofalla dieses Problem der SPD in die Schuhe
schiebt, lenkt er davon ab, dass die Union hierauf keine Antwort hat.
Beispiel Volkspartei: Wahr ist, dass es nicht mehr lange dauert,
bis die Union mehr Mitglieder hat als die SPD. Aber doch nicht
doppelt oder dreimal so viele. Beide liegen gleichauf; kommt deshalb
jemand auf den Gedanken, der CDU den Volkspartei-Charakter
abzusprechen? Die SPD steckt in einer Legitimationskrise; dies aber
vor allem deshalb, weil sie mit der anspruchsvollen Vision von einer
gerechten Gesellschaft nichts weniger unternehmen will, als die Welt
zu verbessern. In diese Gefahr ist die Union noch nie geraten (Angela
Merkels Versuch als Weltklimakanzlerin war diesbezüglich auch nur ein
Ausrutscher). Die Union steht öffentlich besser da, weil sie
anspruchsloser und disziplinierter ist. So richtig zufrieden mit sich
ist sie aber nicht. Das, die wachsende Unzufriedenheit der Union mit
ihren Vorturnern, steckt in Wahrheit hinter Pofallas Angriff auf die
SPD. Vom ausgestreckten Finger seiner Hand zeigen drei auf ihn
zurück.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Ulrich Reitz)