WAZ: Deutsche haben Design entdeckt
Archivmeldung vom 19.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn es stimmt, was Psychologen herausgefunden haben, dass helle Farben einerseits die Stimmung heben, aber auch ein Zeichen dafür sind, dass optimistischer in die Zukunft gesehen wird, dann hat der wirtschaftliche Aufschwung nun auch unsere Wohnzimmer erreicht. Zumindest kratzt er an der Haustür.
Weiß, das ist auf der imm cologne, der Internationalen Möbelmesse in Köln, nicht zu übersehen, ist schwer angesagt. Weiß, die Nichtfarbe, die Leichtigkeit vermittelt, Frische und Reinheit. So wie es schon einmal, in den 60ern, in den Jahren des Aufschwungs, eine weiße Welle gab.
Aber wie viel anders wohnen wir seitdem! Die Zeiten der guten
Stube sind allemal vorbei. Küche, Ess- und Wohnzimmer gehen
ineinander über. Wo in der Woche eher schnell oder gar nicht gekocht
wird, wird das Essen am Wochenende ausgiebig und gern fachmännisch
(!) zelebriert. Müßig, darüber zu spekulieren, was zuerst da war:
Kerner und die Kochshows oder das Bedürfnis, mit Freunden rund um den
Küchenblock zu brutzeln. Esstische jedenfalls werden lang und länger,
massiver und edler, die Stühle rundherum geeignet, einen langen Abend
entspannt abzufedern.
Essen und Kommunikation gehören mehr denn je zusammen. So
verlieren die Küchen, mit immer eleganteren Fronten und
Arbeitsflächen ausgestattet, die einstige Anmutung des
Arbeitsplatzes. Und je repräsentativer das Esszimmer, um so mehr
Intimität strahlen ausufernde Sitz- und Wohnlandschaften aus.
Multifunktional wie die neuerdings sind, darf hier parallel geflezt,
gekuschelt, geschlafen und per Notebook im Internet gesurft werden.
Der ideale Platz also für Familie und, wenn nicht vorhanden, für die
Illusion von Familie.
In modernen deutschen Wohnungen, nicht mehr nur in denen der
experimentierfreudigeren Jungen, sondern auch in jenen der so
genannten Best Ager, findet die Schrankwand, das eiche-brutale
Monster, keinen Platz mehr. Denn Design ist in. Funktional und
schlicht sollen Möbel sein, auch wenn man bei TV-Einrichterin Tine
Wittlers "Einsatz in vier Wänden" manchmal den Eindruck gewinnen
könnte, sie habe "vorher" und "nachher" verwechselt.
Ikea hat Spuren hinterlassen. Skandinavisch helle und klare. Hat
vielleicht sogar wieder hervorgelockt, wofür Deutschland in den 20er
Jahren berühmt wurde, seine klare Formensprache.
Zehn Jahre, so lange dauert in der Zeitmessung der
Möbelindustrie, ein Trend. Wenn Weiß also nicht nur Zeitgeist ist,
dann stehen uns zehn gute Jahre bevor.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Hayke Lanwert)