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Börsen-Zeitung: Der große Leichtsinn

Archivmeldung vom 18.12.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.12.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat den Leitzins praktisch auf Null gesetzt. Damit ist der Instrumentenkasten der konventionellen Geldpolitik leer geräumt. Die Grenzen der Orthodoxie bedeuten jedoch nicht, dass die Währungshüter rund um Fed-Chef Ben Bernanke mit ihrer Weisheit am Ende sind.

Um den Absturz der US-Wirtschaft abzufedern und eine Deflationsspirale zu vermeiden, wird man auch vor unkonventionellen Methoden nicht zurückschrecken. Vielleicht sind solche Experimente angesichts der drohenden Depression in den USA tatsächlich alternativlos - trotzdem sind die Ankündigungen der Fed nur sehr eingeschränkt gute Nachrichten.

Den US-amerikanischen Kriminalfilm "The Big Easy" (auf Deutsch: Der große Leichtsinn) aus dem Jahr 1987 dürften die amerikanischen Notenbanker zwar nicht im Sinn haben, wenn sie nun angesichts fehlender Alternativen den Modus der Geldpolitik ändern. Dabei ist das "Quantitative Easing", wie Experten es nennen, wenn Notenbanken die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft nicht mehr über den Leitzins, sondern über die Menge steuern, durchaus mit erheblichen Risiken verbunden.

Der historische Präzedenzfall geht auf den Regimewechsel der Bank von Japan (BoJ) vom März 2001 zurück. Die BoJ versuchte, über Quantitative Easing gegen die Deflation der 1990er Jahre anzukämpfen. Als der Leitzins in Japan zwischen Februar 1999 und August 2000 die Nulllinie erreicht hatte, waren die konventionellen Möglichkeiten der Notenbank zur Reanimation der Wirtschaft - also Leitzinssenkungen - ausgeschöpft. Stattdessen kaufte die BoJ Kreditinstituten ab Frühjahr 2001 Wertpapiere, vor allem japanische Staatsanleihen, ab, beließ aber den Leitzins nach einer vorangegangenen Erhöhung bei 0,25% und ging nicht mehr zurück zur Nullzinspolitik. Dies erhöhte die Zentralbankgeldmenge, das die Grundlage für die Kreditvergabe an den realwirtschaftlichen Sektor darstellt.

Die Logik hinter der Mengenpolitik ist, dass die Banken ihre nicht-verzinsten Überschussguthaben bei der Zentralbank nutzen würden, um die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalten auszuweiten. Zudem sollte der Aufkauf von Staatsanleihen fiskalpolitische Maßnahmen über das Dämpfen des Anstiegs bei den langfristigen Zinsen flankieren.

Das ist genau das, was die Fed nun vorhat. Allerdings waren die Japaner nicht besonders erfolgreich mit diesem Ansatz. Nach Berechnungen der Deutschen Bank schrumpfte die Kreditvergabe in Japan von 3,3% im Jahr 2001. Im Jahr 2003 ging sie sogar noch stärker zurück, nämlich um 3,8%. Auch lässt sich ein zusätzlicher fiskalischer Impuls, der durch das Quantitative Easing ausgelöst worden wäre, nicht nachweisen. So hat sich das strukturelle Defizit Japans in der Phase der Mengenpolitik lediglich in einem schmalen Band von 4,4 bis 5,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bewegt.

Die japanischen Erfahrungen sprechen grundsätzlich nicht dafür, allzu viel Hoffnung in das Quantitative Easing zu setzen. Aber selbst wenn es den Amerikanern gelingt, dass Fiskus und Notenbank ihre Maßnahmen besser abstimmen, um die nominale Nachfragekluft zu schließen, die sich aufgetan hat, nachdem Immobilienmarkt und der private Bankensektor praktisch zusammengebrochen sind, bleiben die realen Anpassungseffekte unvermeidbar.

Für den Kreditsektor heißt das etwa, dass durch Quantitative Easing (und was alles noch danach kommen mag) kränkelnde Banken zwar eventuell aufgepäppelt, strukturelle Anpassungsprozesse dadurch aber lediglich verzögert werden. Und wenn der designierte US-Präsident Barack Obama parallel umfangreich Infrastrukturprojekte startet, dürfte das Zehntausende von Bauarbeitern vorerst in Lohn und Brot halten. Aber diese Brücken und Tunnel, die womöglich ins Nirgendwo führen, müssen erstens über eine drastische Schuldenausweitung und/oder durch strukturell deutlich höhere Inflationsraten erkauft werden. Und zweitens führt über kurz oder lang kein Weg daran vorbei, dass die Überkapazitäten im Bau- und Bankensektor dennoch abgebaut werden müssen.

Die wirtschaftspolitische Antwort der USA dürfte im Ideal auf einen Mix von leicht beschleunigter Inflation und gedämpftem Wachstum im Vergleich zu "normalen Zeiten" hinauslaufen. Zwar ist das Spektrum zwischen diesen beiden Übeln ausgesprochen breit. Aber die schmale Ideallinie zu finden, ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Dieses wirtschaftspolitische Experiment findet zudem nicht unter Laborbedingungen statt, sondern in der Realität der größten Volkswirtschaft der Welt.

Der nun vollzogene Übergang zur Kombination aus Nullzinspolitik und Quantitative Easing ist nur in zweiter Linie Ausdruck der Handlungsfähigkeit und -bereitschaft der amerikanischen Geldpolitik. In erster Linie geben sie Zeugnis ab über die Dramatik des wirtschaftlichen Niedergangs, der den USA unweigerlich bevorsteht.

Quelle: Börsen-Zeitung (von Jürgen Schaaf)

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