Börsen-Zeitung: Und es geht schon wieder los
Archivmeldung vom 27.10.2016
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Freigeschaltet durch André OttDie Verschnaufpause war nur kurz. Kaum ist die Einführung des neuen europäischen Aufsichtsregimes Solvency II für die Versicherer einigermaßen unfallfrei gelungen, geht die Diskussion um das Regelwerk schon wieder los. Die europäische Aufsicht EIOPA ist ganz vorn dabei. Sie sorgt gerade mit ihrem Vorstoß, eine zentrale Zinsgröße für die Berechnung der Eigenmittelanforderungen, die Ultimate Forward Rate (UFR), zu senken, für Wirbel.
Das Besondere an der Debatte sind Zeitpunkt und Frontverlauf. EIOPA steigt früh in die ohne Frage notwendige Diskussion über die Weiterentwicklung des Regelwerks ein. Dabei plädieren viele in Branche, Politik und Aufsicht dafür, doch erst einmal in Ruhe Erfahrungen mit der Praxis zu sammeln. Bemerkenswert ist außerdem, dass EIOPA öffentlich auf Konfrontationskurs zum größten nationalen Aufseher in Europa, der deutschen BaFin, geht.
Die Bewertung dieses öffentlichen Disputs ist auch eine Frage der Einstellung. Pessimisten könnten fragen: Wie können wir zu einem gelebten einheitlichen Aufsichtsregime kommen, wenn sich sogar die Aufseher selbst in zentralen Fragen uneinig sind? Optimisten würden die Offenheit loben, Meinungsverschiedenheiten mit Sachargumenten auch in der Öffentlichkeit auszutragen und nicht nur hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, um nachher ein ohnehin wieder anfechtbares Ergebnis zu präsentieren.
In der Sache - und auch das macht das schwierige Thema Solvency II nicht einfacher - haben beide Aufseher Recht. EIOPA-Präsident Gabriel Bernardino führt an, dass sich das Zinsumfeld gravierend geändert hat, seit die UFR, auf die sich die für die Berechnung des Eigenmittelbedarfs wichtige Zinsstrukturkurve langfristig zubewegt, auf 4,2% festgezurrt wurde. Unrealistische Annahmen, so argumentiert Bernardino, unterhöhlten die Glaubwürdigkeit der Versicherer und ihrer Aufsicht.
BaFin-Chefaufseher Frank Grund, der die Absenkung auf 3,7% für nicht plausibel hält, hat wohl mehr die unmittelbaren praktischen Auswirkungen im Blick. Er dürfte eine Zuspitzung der Situation für die ohnehin gebeutelten deutschen Lebensversicherer befürchten. Für sie würden ihre riesigen Altbestände mit den unverrückbaren hohen Garantieversprechen über Jahrzehnte noch mehr zur Last, und sie bräuchten weitere Eigenmittel. Kurzfristig kippelnde Unternehmen infolge langfristiger mehr oder weniger willkürlicher Annahmen sind jedoch auch nicht im Interesse von Aufsicht und Kunden.
Quelle: Börsen-Zeitung - Kommentar zu Versicherern von Antje Kullrich (ots)