Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert: Bundeshaushalt
Archivmeldung vom 17.09.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Zug ist abgefahren, das große Ziel verfehlt. Den Ausstieg aus der Neuverschuldung, gar den Abstieg vom Schuldenturm kann und will die Große Koalition nicht mehr schaffen.
Am Beginn ihrer Zusammenarbeit haben die zwei größten Bundestagsfraktionen sehr wohl den Eindruck erweckt, ein Etat ohne neue Schulden sei in dieser Legislaturperiode zu schaffen. Die Rekorderhöhung der Mehrwertsteuer um drei Punkte und das Job-Wunder aufgrund gemeinsamer Agenda-Beschlüsse in der Schröder-Zeit haben Deutschland diese einmalige Chance zur Haushaltsgesundung verschafft. Tatsächlich sind seit 2005 gut und gerne 60 Milliarden Euro mehr als erwartet in die Kassen des Bundes geflossen. Und was macht die Regierung daraus im Etat 2009? Nichts. 12 der 14 Einzelhaushalte steigen. Treuherzig wird versichert, das entspreche ziemlich genau den jeweiligen dort erwirtschafteten Mehreinnahmen. Ja, und? Muss der Erlös aus dem Verkauf von CO2-Verschmutzungsrechten oder der LKW-Maut gleich wieder »verbraten« werden? Jeder Privatmann weiß, dass frisches Geld nach einer langen Durststrecke erst einmal zum Abtragen alter Schulden genutzt werden muss. Nicht so in Berlin. 2009 will man sich noch einmal 10,5 Milliarden Euro leihen, 2010 sollen gemäß der Finanzplanung Kredite über 6 Milliarden reichen, 2011 müssen Verkäufe von Bundeseigentum ausreichen, um die schwarze Null zu bringen. Der erste Haushalt, der nur so viel Ausgaben vorsieht, wie laufende Einnahmen dagegen stehen, soll 2012 erreicht werden. Kurzum: Die Rückzahlung der in vier Jahrzehnten aufgebauten gigantischen Schuldenlast ist Sache der übernächsten Regierung, wie auch immer die aussieht. Nein, wenn überhaupt eine Chance zum Ausstieg aus der Schuldenspirale bestand, dann gab und gibt es sie in den Jahren 2007 bis 2009. Die Umsetzung hätte extreme Sparhaushalte erfordert, aber sie wären möglich gewesen. Hinweise, sich zu sputen, gab es genug. Konjunktur und Wachstum signalisieren seit langem, dass sich das Zeitfenster langsam aber sicher wieder schließt. Niemand sage, die größte Finanzmarktkrise seit Jahrzehnten sei erst seit vorgestern zu erkennen gewesen. Nach Berechnungen der Grünen werden die Weiterungen und aktuellen Wucherungen aus der US-Hypothekenkrise den Bundeshaushalt in den kommenden Jahren mit zehn Milliarden Euro belasten. Die FDP befürchtet bereits im kommenden Jahr fünf Milliarden Euro weniger an Steuereinnahmen, als von Finanzminister Peer Steinbrück in seinem Zahlenwerk zugrunde gelegt sind. Kurzum: Das war's. Nur gut, dass wir noch nicht Wahlkampf haben. Die SPD will zwar das Wohngeld drei Monate eher erhöhen, die CSU und viele andere sind zu Milliarden-Geschenken an die Pendler bereit und in der Union ist wieder von Abgabensenkungen die Rede: alles Vorgeplänkel. Die wahre Bereitschaft zur Sünde kommt erst noch.
Quelle: Westfalen-Blatt