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Berliner Morgenpost: Angela Merkel gegen den Rest der Welt

Archivmeldung vom 01.12.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.12.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Man kann Angela Merkel einiges vorwerfen, aber eines nicht: Geprotze, Geprange, konsumistische Selbstverwirklichung. Geprägt von ihrer Kindheit im Pfarrhaus, ist die Kanzlerin immun gegen die Verlockung der Shoppingcenter. Einkaufen als Freizeitbeschäftigung ist ihr fremd.

Dass sie sich nach langem Zaudern nun von Maßschneiderinnen einkleiden lässt, ist eher ein vernunftgesteuertes Zugeständnis an die medialen Erfordernisse des Amtes. Barockere Mitarbeiter im Kanzleramt klagen bisweilen sogar über den "protestantischen Bescheidenheitsterror" der Chefin, die Brioni bis heute vermutlich für einen italienischen Fußballspieler hält. Der angloamerikanische Denkansatz des Konsumankurbelns mittels Steuersenkung ist der mächtigsten Frau der Welt fremd; ein halbwegs gesunder Haushalt geht als Staatsziel bei ihr allemal vor. Der Streit mit Partei- und Europa-Unionisten darüber, ob Deutschland die Verbrauchsteuern senken soll, hat neben der kulturellen aber auch eine knallharte machtpolitische Komponente für die Kanzlerin: Widerstand gegen den Rest der Welt hat sich seit jeher als Führungsinstrument bewährt. Es gilt die Regel: Kanzler gewinnen ihr Profil selten mit Harmonie, aber häufig im Konflikt. Ein heftiger Streit hat immer auch den Kollateralnutzen, Aura aufzubauen. Vor allem sein striktes Nein zum Irak-Krieg hat beispielsweise Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder den Eintrag ins Geschichtsbuch gesichert. Ist der Steuerstreit auch keine Frage nach Leben und Tod, so birgt er gleichwohl großes internationales Erregungspotenzial in Zeiten globalökonomischen Bebens. Alle Welt befeuert den Binnenkonsum, nur und ausgerechnet die Deutschen geizen. Es gehört zu den Paradoxien der Politik, dass der anschwellende Protest aus Partei und Europa der Kanzlerin hilft. Jedes Gemaule aus London, Paris, Stuttgart oder Saarbrücken lässt die Kanzlerin standhafter erscheinen. Schon der Falkland-Krieg von Margaret Thatcher hat belegt, dass es in der Politik nicht immer um Sinn oder um Unsinn geht, sondern oftmals um Symbolik, den Wert der Unbeugsamkeit zum Beispiel. Im Vergleich zu Schröders Irak-Nein kann sich die CDU-Vorsitzende allerdings nicht auf den Rückhalt ihrer Partei verlassen. Die wirtschaftspolitische Linie markiert eine der empfindlichsten Bruchstellen im labilen Gefüge der Union. Schießt die Konjunktur im neuen Jahr tatsächlich in den Keller, werden die Kritiker der Kanzlerin genussvoll auf das vorweihnachtliche Zaudern verweisen. Für diesen Fall bleibt Angela Merkel allerdings immer noch die Chance, sich vom Finanzminister abzusetzen und für 2010 einen Sack voll Steuergeschenke in Aussicht zu stellen. In Zeiten des Vorwahlkampfes hat sich auch die Konjunkturpolitik in die Logik der Machtsicherung einzuordnen.

Quelle: Berliner Morgenpost

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