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Börsen-Zeitung: Vom Gipfel enttäuscht

Archivmeldung vom 10.12.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.12.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die Krisen sind die großen Einiger. Das hat Jean Monnet, Europäer der ersten Stunde, bereits vor vielen Jahren festgestellt. Die Aussage scheint auch diesmal zu stimmen: Die 17 Staaten der Eurozone plus fast alle EU-Mitglieder außerhalb der Eurozone haben sich auf schärfere Sanktionen bei einer künftigen Missachtung der Grundsätze der Haushaltsdisziplin geeinigt. Man kann die Übereinkunft durchaus als historisch betrachten - auch wenn sie den erheblichen Schönheitsfehler hat, dass sich mit Großbritannien ein einziges, aber wichtiges EU-Mitglied dem Deal entzogen und damit sogar die angestrebte Reformierung des EU-Vertrags sabotiert hat.

Trotz der historischen Tragweite halten sich die Reaktionen an den Märkten in engen Grenzen. Der Euro bleibt unter der Marke von 1,34 Dollar kleben, so als wäre nichts geschehen. Der Dax hat am Freitag zwar um 1,9% auf knapp unter 6000 Punkte angezogen. Dafür gibt es aber vor allem einen Grund, der mit dem EU-Gipfel nichts zu tun hat: China legt einen neuen Fonds auf, um seine gigantischen Devisenreserven nun auch stärker in Europa zu investieren.

Dass die Reaktionen auf die EU-Einigung dürftig ausgefallen sind, liegt vor allem daran, dass die Akteure an den Kapitalmärkten deutlich mehr erhofft hatten. Sie wollten positiv überrascht werden. Mit den Ansätzen einer Fiskalunion, so bedeutsam diese für die Weiterentwicklung der Europäischen Union sein mag, haben die Marktteilnehmer nur wenig am Hut. Ihnen kommt es darauf an, dass dort mehr getan wird, wo es aus ihrer Sicht brennt. Dies ist zum einen der Bankensektor, der zwar von der am Donnerstag angekündigten Flutung der Geldmärkte mit Liquidität durch die Europäische Zentralbank profitiert, aber weiterhin nicht in den Genuss der Wohltat unbegrenzter Stützungskäufe von Anleihen der Krisenstaaten kommt.

Zum anderen lässt die Einigung Staaten wie Italien, Spanien und Griechenland weiter im Regen stehen. Sie erhalten keine (zusätzlichen) Hilfen und müssen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen - ein Unterfangen, dessen Ausgang nach Ansicht vieler Anleger ungewiss ist. Ob ein mit großen Belastungen für die Allgemeinheit verbundener Bail-out der Banken und der Krisenstaaten, wie ihn sich viele Marktteilnehmer mit Blick auf die eigenen finanziellen Interessen insgeheim erhofft hatten, sinnvoll ist, sei dahingestellt. Tatsache ist aber, dass seine Abwesen-heit dafür sorgt, dass die Ergebnisse des Gipfels die Märkte kaltlassen.

Kalt lässt die Akteure an den Kapitalmärkten auch, dass sich Großbritannien nun weitestgehend isoliert hat - was zumindest langfristig negative Folgen für das britische Pfund haben könnte. Aktuell hat die Insel-Währung kaum reagiert. Der Euro notierte am Freitagabend mit 0,854 Pfund in etwa auf Vortagesstand. Immerhin ist dies ein Monatshoch des britischen Pfund. Der Euro hat inzwischen die deutlichen Gewinne, die er im Sommer gegenüber dem Stand zum Jahresanfang aufwies, komplett verloren. Die relative Stärke des Pfund gegenüber dem Euro ist darauf zurückzuführen, dass Großbritannien zumindest für einen Teil der Investoren als sicherer Hafen gilt. Dieser Status der Insel wird auch an den extrem niedrigen Renditen britischer Staatsanleihen deutlich.

Das von dem britischen Premier David Cameron eingebrachte Veto dürfte allerdings zur Folge haben, dass der britische Einfluss auf die Kernstaaten der EU stark zurück-geht. Großbritannien wird künftig noch mehr als bisher auf sich selbst gestellt sein. Die Tatsache, dass die Insel über eine eigene Währung verfügt, hatte bislang zwar überwiegend Vorteile. So hat sie verhindert, dass trotz einer für ein Triple-A-Land sehr hohen Verschuldung noch wesentlich drastischere Sparmaßnahmen notwendig wurden.

Das Land erscheint jedoch anfällig: Ein Untergang des Euro würde die britische Volkswirtschaft schwer treffen. Und nach der Deindustrialisierung der vergangenen Jahrzehnte hat die krisengeschüttelte Finanzindustrie der Londoner City in der britischen Volkswirtschaft ein ungesund hohes Gewicht - während Cameron die von den übrigen EU-Staaten gewünschte stärkere Regulierung des Finanzsektors blockiert. Es ist also durchaus denkbar, dass sich das Marktsentiment mittelfristig gegen das Pfund stellt. Dies ist dann zu erwarten, wenn dieEU bei der Krisenbewältigung deutliche Fortschritte erzielt, für die die Gipfelbeschlüsse vom Freitag vielleicht den Grundstein legen.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots)

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