WAZ: Gewaltwelle erschüttert den Irak: Das Ende des Einheitsstaates
Archivmeldung vom 05.02.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.02.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFür die Gewalt im Irak gibt es keine angemessenen Worte mehr. Die Sprache, die diese Gewalt zu beschreiben versucht, hat sich in fast vier Jahren Krieg längst abgenutzt. Was bleibt, sind alltägliche Nachrichten, die mit leidenschaftsloser Chronistenpflicht übermittelt werden: Am Samstag 135 Tote bei einem Selbstmordanschlag auf einem Markt in Bagdad, dutzende weitere Tote in anderen Städten.
Die meisten Toten sind Opfer des sich ausweitenden Bürgerkrieges
zwischen Schiiten und Sunniten. Deshalb ist es unsinnig zu glauben,
die US-Truppen könnten - und sei es mit 21 000 Mann Verstärkung, wie
Bush meint - die Gewalt im Irak in den Griff bekommen. Die USA können
diesen Krieg nicht mehr gewinnen, weil es - nicht ausschließlich,
aber doch in immer größerem Maße - ein Bürgerkrieg ist, bei dem die
Amerikaner zwar nicht Partei sind, aber auch nicht zum Schlichter
taugen. Als Besatzer verhasst und somit selbst Ziel vieler Angriffe,
fügen sie der Spirale der Gewalt nur eine weitere Windung hinzu.
Gibt es überhaupt ein Mittel gegen diese Gewalt? Eine Idee
verdient jedenfalls mehr Beachtung, als sie bislang bekommt:
Vielleicht ist eine Auflösung des künstlich entstandenen irakischen
Einheitsstaates in zwei, vermutlich drei neue Staaten die einzige
Lösung.
Vieles daran ist sicher problematisch. Vor allem der unabhängige
kurdische Staat im Norden, der dabei entstehen könnte, wäre
schlimmstenfalls die Keimzelle für neue Kriege, wenn der Kurdenstaat
die kurdische Minderheit in der Türkei anzieht. Und auch die
schiitischen und sunnitischen Teile des Irak stünden sicher in
spannungsvollen Beziehungen zu den regionalen Nachbarn mit ihren
unterschiedlichen Interessen. Der schiitische Teil etwa würde wohl
unvermeidlich ein enger Verbündeter des Iran und würde dessen
regionale Position noch stärken. Und schließlich: Allein die
territoriale Aufteilung des Irak wäre wegen der Ölvorkommen und der
ethnischen Zusammensetzung gerade der großen Städte äußerst
schwierig.
Patentlösungen gibt es im Irak nicht. Aber in dem Maße, in dem sich die Einsicht durchsetzt, dass der Aufbau eines neuen demokratischen Staates in den bisherigen Grenzen vor allem daran scheitert, dass die meisten Iraker einen solchen Staat gar nicht wollen, muss auch über bislang tabuisierte Ideen nachgedacht werden. Alles, was die Hoffnung in sich birgt, die Gewalt im Irak beenden zu können, verdient es, ernst genommen zu werden.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung