Leipziger Volkszeitung zu Konjunkturprognosen
Archivmeldung vom 19.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNachtigall, ick hör dir trapsen. Wenn Lobbyisten die Lage gut beurteilen, ist eigentlich Vorsicht geboten. Klappern, oder besser gesagt, Klagen gehört zu ihrem Handwerk. In der Regel ist die Situation dann noch besser, als sie dargestellt wird.
Auf die Verfassung der deutschen Wirtschaft im Jahr 2006 trifft das
allemal zu. Die meisten Unternehmen verdienen gut. Sehr gut sogar.
Die Kassen sind quer durch alle Branchen prall gefüllt, und selbst
der krisengeschüttelte Bau hat wieder Fahrt aufgenommen. Kurzum, das
Resümee von DIHK-Frontmann Ludwig Georg Braun, dass die Konjunktur so
gut wie seit sechs Jahren nicht mehr laufe, ist eine eher
zurückhaltende Bewertung. Braun hätte nämlich auch protzig sagen
können, die Wirtschaft der Republik brummt.
Stimmt. Aber leider nur im Moment. Das zeigen alle
Konjunkturprognosen der Banken, Verbände und auch die
Gemeinschaftsdiagnose der sechs führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute, die heute vorgestellt wird: Das
Wachstum in Deutschland wird sich deutlich abschwächen. Ob am Ende
dann im kommenden Jahr eine Vier, Fünf oder Sechs nach der Eins
hinter dem Komma steht, ist dabei unerheblich. Auf jeden Fall ist der
kurze Aufschwung nach einer mehrjährigen Phase der Stagnation zu
gering gewesen und schon fast vorbei, bevor es die Mehrheit der
Bevölkerung zu spüren bekommt.
Sollten die Prognosen für 2007 also wirklich eintreffen, steht die
Bundesrepublik sogar erneut vor einem Tal der Tränen. Weil ein
Wachstum unter zwei Prozent zu einer höheren Arbeitslosigkeit, einer
höheren Verschuldung und zu einer höheren Belastung der sozialen
Sicherungssysteme führt. All die bekannten Themen, die in den
vergangenen Monaten durchgekaut worden sind, liegen dann wieder auf
dem Tisch.
Die Große Koalition jedenfalls tut auch alles dafür, dass es dazu
kommt. Unabhängig von der Mehrwertsteuererhöhung, die sie nur zu
einem Drittel zur Senkung der Lohnnebenkosten verwenden will, setzen
die schwarz-roten Koalitionäre in Berlin alles daran, den Abstatt den
Aufschwung zu unterstützen. Von durchgreifenden Strukturreformen kann
die Wirtschaft inzwischen nur noch träumen. Das Gemurkse bei der
Gesundheit verdient alles, nur nicht mehr den Namen Reform. In der
Steuer bahnt sich ein ähnliches Hickhack an. Und die Rente und Pflege
sind alles andere als zukunftsfest. Soweit die Bilanz.
Bleibt also nur der Glaube an eine robuste Weltkonjunktur. Oder aber
die Hoffung, dass die Prognostiker erneut so schlecht liegen wie im
vergangenen Jahr. Damals haben die führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute ein Wachstum von 1,2 Prozent
vorausgesagt. Dass wir 2006 mehr als einen Prozentpunkt darüber
liegen werden, bestreitet heute niemand. Was im Übrigen mehr oder
weniger im normalen Korridor für Langzeitprognosen liegt. Der beträgt
nämlich auch einen Prozentpunkt. Nach oben und nach unten natürlich.
Was das bei den bekannten Risiken für das kommende Jahr im
schlechtesten Fall bedeuten kann, heißt: Stagnation.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung