WAZ: Die Flucht aus dem Tarif
Archivmeldung vom 19.09.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.09.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSelbst im Aufschwung sinken die Reallöhne. Die Deutschen können weniger kaufen - das ist auch für die Wirtschaft eine schlechte Nachricht. Es liegt nahe, hohe Tarifabschlüsse zu fordern. Doch selbst die gewerkschaftsnahen Forscher sehen genau hier das geringste Problem.
Wer eine starke Gewerkschaft im Rücken hat, bei dem steigen auch die Reallöhne. Als deutsche Besonderheit macht die Studie vielmehr aus, dass immer weniger Unternehmen nach Tarif bezahlen.
Wenn das so ist, entscheidet sich die Entwicklung der deutschen Reallöhne nicht mehr in Arbeitskämpfen, sondern dort, wo Gewerkschaften keine Macht mehr haben. Damit wird dieses Problem zur Sache der Politik - ob sie will oder nicht. Und man muss auch keinen Mindestlohn für alle fordern, um sich diesem Problem zu stellen.
Tatsächlich hat die Koalition die Gesetze dafür geschaffen, in einzelnen Branchen neue Mindestlöhne einzuführen. Eine Frisörin in Sachsen verdient 3,82 Euro. Ein Euro mehr und ihr Reallohn würde um gut 20 Prozent steigen. Doch dafür müssten sich Union und SPD in jedem einzelnen Fall einig werden. Das wird umso schwieriger, je näher die Wahl rückt.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Stefan Schulte)