Westdeutsche Zeitung: Strafvollzug
Archivmeldung vom 02.12.2009
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.12.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVier Tage hielten zwei gefährliche Ausbrecher eine ganze Region in Atem. Gestern durfte aufgeatmet werden: Die Polizei schnappte auch den zweiten Gewaltverbrecher, ohne dass Unbeteiligte zu Schaden kamen. Ende gut, alles gut. Wirklich?
Die Polizei hat ganze Arbeit geleistet - besonnen, ohne ein Risiko einzugehen. Anders als im Fernseh-"Tatort" gelingt so etwas im wirklichen Leben nicht in 90 Minuten. Die Fragen, die zu beantworten sind, betreffen die Justiz. Was ist in Aachen abgelaufen? Was hat in der jüngeren Vergangenheit in Haftanstalten wie Mönchengladbach, Gelsenkirchen und Siegburg zu Skandalen geführt? Geht es im Justizvollzug um ein politisches Farbenproblem, wie uns die Konstellationen Rot-Grün und Schwarz-Gelb je nach Mehrheitslage so gern weismachen möchten? Fakt ist, dass in NRW rund 15 000 Menschen "hinter Schloss und Riegel" sitzen. Verurteilt für relativ kleine Straftaten bis hin zu schwersten Verbrechen. Die einen machen eine Berufsausbildung, lernen sogar Klavier spielen und haben nur ein Ziel: nie wieder hier zu landen. Die anderen ziehen mafiöse Strukturen auf - der Knast als Umschlagplatz für Drogen, Waffen, Bargeld. Und mittendrin das Personal: bescheiden ausgebildet, oft ausgebrannt, in Einzelfällen sogar bestechlich. In Aachen beklagt die Gewerkschaft Strafvollzug einen Krankenstand von 17,9 Prozent und einen Berg von im Schnitt 178 Überstunden pro Mitarbeiter. Es fällt auf, dass diesmal die reflexhaften Forderungen nach Rücktritt der Ministerin ausgeblieben sind. Regierungen wechseln, die Probleme aber bleiben. In dieser Erkenntnis liegt eine Chance - die, an einem Runden Tisch über die Grenzen der Partei- und Regierungspolitik hinweg nach Wegen zu suchen, den Strafvollzug zu erneuern. Teilnehmer: Politiker aller Fraktionen, Juristen, Psychologen, Sozialarbeiter. Stichworte: Kampf gegen Bandenkriminalität hinter Gittern, mit Bedacht zusammengestellte Wohn-Gemeinschaften, sinnvolle Beschäftigung der Häftlinge, Erweiterung der sozialpädagogischen Betreuung, "Luft" für das Vollzugspersonal. Es geht um die Sicherheit von Menschen innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern. Um ein Thema, das nicht zum Zankapfel im heraufziehenden Wahlkampf werden darf.
Quelle: Westdeutsche Zeitung