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General-Anzeiger: Merkel-Dämmerung

Archivmeldung vom 09.07.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.07.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Gerade in der Politik sind Ratschläge zumeist und in erster Linie Schläge. Wenn CDA-Vizechef Gerald Weiß der Kanzlerin rät, es sollte einen Strafkatalog für Beleidigungen im Regierungslager geben, dann stellt man sich Angela Merkel vor, wie sie künftig in der Koalition Knöllchen verteilt - für verbale Entgleisungen wie "Wildsau" oder "Gurkentruppe" zum Beispiel. Nicht viel besser ist der Tipp Ole von Beusts, Merkel möge mal so richtig auf den Tisch hauen, um die internen Störenfriede zu bändigen.

Tatsächlich würde man sich wohl mehr um die Hand der Kanzlerin als um den Tisch sorgen. Eigentlich müsste Merkel jetzt den Schröder machen: einen Kurs vorgeben, auch gegen Widerstände, und dann noch ein Basta! hinterschicken. Stattdessen versucht sie weiter, jeden Streit auszusitzen, höchstens moderierend einzugreifen und sich selbst bloß nicht festzulegen. In der Vergangenheit ist das oft als Stärke Merkels gepriesen worden. Inzwischen zeigt sich, dass es ihre größte Schwäche ist. Allzu lange wird sich die Kanzlerin so nicht mehr durchwurschteln können. Ihre angebliche Wunsch-Koalition ist am Ende, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. Was haben die Wähler nicht für Hoffnungen in Schwarz-Gelb gesetzt! Statt großkoalitionärer Flickschusterei wurden tiefgreifende Reformen erwartet: in der Steuerpolitik, in der Gesundheitspolitik. Eine Art Agenda 2020 war gefordert. Doch das Scheitern des Projektes, das zwischenzeitlich sogar als "geistig-politische Wende" verkauft wurde, war von Anfang an programmiert. Von Anfang an fehlte die klare Linie. Von Anfang an waren die Sollbruchstellen im Kern des Bündnisses erkennbar. Unter dem Strich war es ein eindeutiges Führungsversagen Merkels. Und so ist gekommen, was kommen musste: Die versprochene Steuerreform besteht aus höheren Steuern, die versprochene Gesundheitsreform  aus steigenden Beiträgen. Wo man nur hinsieht, ist die Koalition tief zerstritten: bei der Wehrpflicht, beim Sparprogramm, bei der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Der eigene Bundespräsidenten-Kandidat wurde nur mit Ach und Krach durchgesetzt. Das alles sorgt für Nervosität. Zusätzliches Öl ins Feuer gießen die ins Bodenlose fallenden Umfragewerte. Die FDP ist, gemessen an ihrer Selbstwahrnehmung nach der Bundestagswahl, dabei, sich zu atomisieren. Im Wochenrhythmus ploppt die Frage hoch, ob Westerwelle noch der richtige Parteivorsitzende ist. Schon bald könnte Merkel der gleichen Frage ausgesetzt sein. Allein: Wer sollte es machen? Rüttgers ist weg, Koch ist weg, Wulff ist Bundespräsident und von der Leyen ist seit der Präsidentschafts-Debatte angeschlagen. Das ist ja gerade das Paradoxe: In der CDU  gibt es kein Personal mehr, das Merkel gefährlich werden könnte. Doch genau in dem Moment, in dem sich alle Macht auf sie konzentriert, ist ihre Ohnmacht am größten.

Quelle: General-Anzeiger

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