Die Leipziger Volkszeitung zu Medikamente
Archivmeldung vom 27.07.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAlt, arbeitslos, auf dem Abstellgleis. Dazu pillenschluckend und adipös, also fettleibig. Fasst man diverse Studien der vergangenen Monate über das Leben in Ost- und Westdeutschland zusammen, ergibt sich ein wahres Schreckensbild - für den Osten. Die Ergebnisse des Arzneimittel-Atlas 2007 reihen sich nahtlos in Meldungen ein, bei denen die neuen Länder zwar an der Spitze stehen, dies aber nichts Gutes bedeutet.
Massenflucht junger Frauen gen Westen, zurückbleibende Männer ohne
Ausbildung und Perspektive, Rechtsextremismus, Arbeitslosigkeit,
Altersarmut, Fernsehkonsum, Kinder mit Aufmerksamkeitsstörung.
Einzelne Phänomene, die jedoch alle zusammenhängen.
Ein Zustand, der 17 Jahre nach der Wende unhaltbar ist - aber von der
Gesellschaft achselzuckend hingenommen wird. Von gleichwertigen
Lebensverhältnissen kann keine Rede sein, dennoch spricht man im
Westen lieber über vermeintlich überflüssige Soligelder als über
verödende Regionen und soziale Entwurzelung zwischen
Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Beim Blick auf den neuen
Arzneimittel-Atlas wundert sich kaum jemand darüber, dass im Osten
die meisten Pillen geschluckt werden, in Bayern und Baden-Württemberg
hingegen die wenigsten. Wo es Arbeit und intakte Infrastrukturen
gibt, geht es den Menschen besser.
Ein trivialer Grund, aber längst nicht der einzige: Im Osten gibt es
einfach mehr alte, kranke Menschen und weniger Fachärzte. Dennoch ist
dies kein neuer Trend. Schon Mitte der 90er Jahre erklärte Werner
Gross, Sprecher des Berufsverbandes Deutscher Psychologen, den
steigenden Medikamentenkonsum in den neuen Ländern mit "dem
verzweifelten Versuch der Ostdeutschen, ihr Leben in den Griff zu
bekommen". Vor zehn Jahren war Psychologen und Medizinern bereits
klar, dass selbstverständlich Körper und Seele auf komplett
umgekrempelte Lebensverhältnisse reagieren: Viele Ostdeutsche wollen
ihre psycho-sozialen Probleme auf dem chemischen Weg lösen, lautete
die Bilanz, die offenbar leider noch heute Gültigkeit besitzt.
Hinzu kommt die Tatsache, dass sich viele Menschen im Osten
erwiesenermaßen ungesünder ernähren als im Westen, zu dick und
dementsprechend häufig krank sind. Auch hier zeigt sich eine
Ungleichheit der Lebensverhältnisse. Der Ruf nach staatlichem
Eingreifen ist allerdings fehl am Platz: Niemand zwingt Menschen
dazu, sich von Cola, Chips und anderen Fettmachern zu ernähren.
Dringend gefordert ist die Politik hingegen auf anderem Gebiet. Sie
kann den Osten nicht einfach abschreiben, alarmierende Studien
ignorieren und den netten Herrn Tiefensee vorschicken, wenn es mal
wieder darum geht, die Gelder aus dem Solidarpakt zu verteidigen. Die
Zeichen für ein immer radikaleres Auseinanderdriften der Lebenswelten
in Ost und West mehren sich. Die Zeichen für einen Masterplan der
Regierung unter Führung einer ostdeutschen Kanzlerin sehen hingegen
nur noch Berufsoptimisten.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung