Leipziger Volkszeitung zu Guantánamo
Archivmeldung vom 12.06.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.06.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie gute Nachricht für George W. Bush im Anti-Terror-Kampf hielt genau drei Tage. Nach dem doch überraschend plötzlichen Dahinscheiden des Top-Terroristen Al-Sarkawi riss die Kunde vom dreifachen Häftlingsselbstmord in Guantanmo den US-Präsidenten aus seiner Wochenendruhe.
Die eiligen Statements aus Washington zeigen: Die Berichte über
Hungerstreiks und weitere Freitod-Versuche werden überaus ernst
genommen. Lenken die Schockmeldungen doch wieder den Blick auf eine
Einrichtung, die trotz vieler Erklärungsversuche für einen Großteil
der Welt schlecht zu vermitteln ist. Häftlinge ohne Anklage und
Prozess lassen sich nun mal kaum mit dem Selbstverständnis eines
Staates vereinbaren, in dem Freiheit und Demokratie als höchstes Gut
gern etwas dicker als anderswo aufgetragen werden. Auch der Vorwurf,
viele Kritiker hätten die Gefängniszellen ja noch nie von innen
gesehen, trägt einen gewissen Zynismus in sich. Denn außer den
vertraulichen Visiten des Roten Kreuzes werden Besuchsanträge zumeist
abgelehnt oder mit strikten Auflagen versehen. Zuletzt scheiterte
daran eine geplante Führung von UN-Menschenrechtsexperten durch das
Lager.
Dass diese dicke Mauer des Schweigens allerlei Mutmaßungen geradezu
provoziert, kann nicht verwundern. So kam prompt aus Saudi-Arabien
der Verdacht, die Häftlinge seien gefoltert worden. Es wird einige
Anstrengungen bedürfen, um diesen Vorwurf glaubhaft zu widerlegen
Andererseits sollte der moralische Zeigefinger, der beim Thema
Guantamo auch in Deutschland gern erhoben wird, nicht allzu hoch
gestreckt werden. Die Gefangenflüge der CIA über der Bundesrepublik
zeigen, dass auch zwischen Ostsee und Bodensee keine Oase der
unangreifbaren Menschenrechte liegt. Zudem waren zu Zeiten des
RAF-Krieges manche Landsleute über sich selbst erschrocken, wie
schnell man in radikale Denkweisen verfällt, wenn der Terrorkampf im
eigenen Land stattfindet. Die Bader-Meinhoff-Bande und ihre bombenden
Symphatisanten hätten gern auch viele Bundesbürger schneller hinter
Schloss und Riegel weggesperrt gesehen - ob nun mit oder ohne faires
Verfahren.
Natürlich kann eine ungezügelte Prävention außerhalb jeglicher
rechtlicher Kontrolle kein Allheilmittel im Anti-Terror-Kampf sein.
Auch wenn ein demokratischer Staat Handlungsfreiheit zum vorbeugenden
Schutz seiner Bürger braucht - es muss für beide Seiten trotz allem
der Rechtsstaat gelten. Der Zweck heiligt die Mittel nicht - leider
auch nicht im Kampf gegen unseeliges Terror-Leid. Es ist das Dilemma,
dass auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges Schlagersängerin Nicole mit
ihrem Grand-Prix-Siegerlied 1982 erlebte: Der Song sei kompletter
Quatsch, ätzten damals ihre Kritiker: Ein bisschen Frieden gibt es
nicht. Nur ein bisschen Folter oder Rechtsbruch auch nicht.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung