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Rheinische Post: Schwarze Chefin, rote Politik?

Archivmeldung vom 11.10.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.10.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Ein Tag wie der gestrige in Berlin birgt die Gefahr, dass man ihn nur parteitaktisch interpretiert. Wer hat gewonnen, wer verloren? Ist das Spiel nun 8:6 (nach Ministerposten) für die SPD ausgegangen oder 1:0 (nach Kanzlern) für die Union? So seltsam sich das nach dem Gezerre der vergangenen Wochen erst einmal anhören mag: Es ist fast egal.

Denn worum es vor allem anderen geht, hat Bundespräsident Horst Köhler drastisch formuliert, als er Ende Juli den Bundestag auflöste und so Neuwahlen ermöglichte: "Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen kritischen Lage." Köhler forderte: "In dieser Situation braucht unser Land eine Regierung, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck verfolgen kann." Diese Regierung könnte die viel geschmähte große Koalition werden. Man muss dieses Bündnis der Wahlverlierer des 18. September nicht lieben, um seine Chance zu erkennen: stabile Mehrheiten für nötige Reformen herzustellen und das weiterzuführen, was mit der Agenda 2010 begonnen wurde. Zumindest für die paar Jahre, die phantasievollere politische Pflänzlein wie die Jamaika-Koalition aus Schwarz-Gelb-Grün noch zum Reifen brauchen. So lange hat Schwarz-Rot Gestaltungsmöglichkeiten, die es nutzen muss. Weil ein schnelles Scheitern der großen Koalition an der eigenen Zaghaftigkeit nicht nur den Niedergang des Landes, sondern auch den von SPD und Union beschleunigen würde. Das gilt ebenso für die wahrscheinlich erste Kanzlerin. Mit Angela Merkel bietet die Union eine derzeit nicht sonderlich populäre Regierungschefin auf. Noch hat sie ihre Qualitäten vor allem auf dem Feld der Machtpolitik. Das macht sie nicht zur Bannerträgerin derjenigen, die unter Emanzipation eine von Männern zugelassene und begrenzte Teilhabe an der Macht verstehen. Aber es hält sie politisch überlebensfähig: Merkel hat nach allen schönen und schmutzigen Regeln der Politik Kohl, Stoiber und andere hinter sich gelassen. Seit gestern sogar Gerhard Schröder, den "Medienkanzler". Der hatte noch am Wahlabend im Testosteron-Rausch versucht, sie zur einsamen Verliererin zu stempeln. Merkel duckte sich weg und gewann am Ende. Nicht einmal den Verhandlungserfolg, den viele im Überhang an Fachministern der SPD wittern, hat die CDU-Chefin Schröder und seinem Steuermann Müntefering gegönnt: Mit der Festlegung auf Finanzen, Arbeit und Gesundheit werden viele Grausamkeiten künftig die Unterschrift sozialdemokratischer Ressortchefs tragen. Das macht den Weg zur Hintertür Neuwahlen für die SPD weitaus schwieriger. Zumal die SPD auf die politische Sitzriesin Angela Merkel personell noch keine Antwort gefunden hat, wie die wirre Suche nach einem Vizekanzler beweist. Viel ist in Berlin in Bewegung geraten. Das ist nicht schlecht. Auch das bleibt von gestern.

Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post

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